Gott straft nicht, er ist gnädig.

Predigt am Buß- und Bettag 2009
Gochsheim, 18.11.2009
Text: Lk 13, 1-9
Es kamen aber zu der Zeit einige, die berichteten ihm von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. 2 Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle andern Galiläer, weil sie das erlitten haben? 3 Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen. 4 Oder meint ihr, dass die achtzehn, auf die der Turm in Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen sind als alle andern Menschen, die in Jerusalem wohnen? 5 Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen.
6 Er sagte ihnen aber dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg, und er kam und suchte Frucht darauf und fand keine. 7 Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, ich bin nun drei Jahre lang gekommen und habe Frucht gesucht an diesem Feigenbaum, und finde keine. So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft? 8 Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn grabe und ihn dünge; 9 vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.

Liebe Gemeinde!
Heute, ausgerechnet am Buß- und Bettag, macht unser Predigttext einen kleinen Spaziergang durch die schwierigsten theologischen Fragen, die die Menschen schon immer bewegt haben, auch schon in den Zeiten vor Jesus. Eine Frage, die immer wieder auftaucht, ist diese: „Wie kann Gott Leid zulassen?“ So oft kommt diese Frage vor, dass sie einen eigenen Fachausdruck bekommen hat: Theodizeefrage. Das heißt: Die Frage nach der Rechtfertigung Gottes. Wenn Gott wirklich allmächtig, gütig und allwissend ist, wie kann er denn dann Leid zulassen? Müsste er nicht das Leid von uns abwenden? So Fragen einige Jesus. Wie konnte Gott es zulassen, dass Pilatus einige Galiläer tötet und ihr Blut mit dem ihrer Tempelopfer vermischt? Wie konnte Gott es zulassen, dass der Turm von Siloah einstürzte und 18 unschuldige Menschen unter sich begrub, die halt zufällig gerade am falschen Ort waren?

Zwei tagesaktuelle Ereignisse, die hier festgehalten wurden durch dieses Gespräch. Zwei Katastrophen, wie sie nun mal praktisch täglich vorkommen. Heute würden wir andere Dinge an diese Stelle setzen. Wo war Gott am 11. September 2001, als das World Trade Center einstürzte? Wo war Gott bei der Tsunami-Katastrophe? Oder, viel näher und persönlicher: Warum hat ein Mensch, der mir nahe steht, Krebs oder eine andere schwere Krankheit?

Viele, die nicht an Gottes Allmacht und Güte verzweifeln wollten, kamen eigentlich nur zu einem einzigen Schluss: Diese Menschen müssen irgend etwas verbrochen haben. Es ist eine Strafe Gottes, wenn sie nun vor der Zeit sterben. Vielleicht, so dachten manche noch weiter, vielleicht haben sie ja auch gar nicht selber gesündigt, sondern ihre Eltern. Oder ihre Großeltern. Irgendwo muss der Fehler liegen. Noch heute denken manche genau so: Wenn einer unheilbar krank ist, liegt es an seinem schwachen Glauben. Oder daran, dass er oder sie irgendwelche Sünden begangen hat, die noch nicht bereut und gebeichtet wurden. Wer sich davon frei macht, der kann auch wieder gesund werden. Wie gesagt, so denken auch heute noch manche Christen und bürden damit den Kranken auch noch die Schuld dafür auf, dass sie nicht gesund werden.

Jesus sagt ganz klar: Nein. Das ist es nicht. Diese Menschen, sie sind nicht besser und nicht schlechter als ihr. Ihr hättet alle, ohne Ausnahme, jede Strafe Gottes verdient. Denn kein Mensch kann vor Gott bestehen. Alle seid ihr Sünder. Alle weicht ihr von dem Weg ab, den Gott für euch vorgesehen hat. Und entsteht nicht daraus erst ganz viel Leid, dass wir auf uns selbst und unseren eigenen Vorteil sehen?

Jesus dreht die Perspektive völlig um. Statt zu beklagen, dass einige gestorben sind – so schlimm das ist – sagt er: Es ist eine Gnade, dass ihr noch lebt! Das ist etwas, was ihr euch nicht verdienen könnt. Ihr habt auch keinen Rechtsanspruch darauf, ein möglichst störungsfreies Leben zu führen. Dieses Leben ist euch geschenkt, dass ihr überhaupt lebt, ist eine Gnade Gottes. Eigentlich hättet ihr schon längst abgehauen werden müssen wie der Feigenbaum, der keine Frucht brachte, aber ihr habt noch eine Chance bekommen.

Trotzdem bleibt in uns diese Frage unbeantwortet: Warum diese Menschen? Warum niemand anders? Warum hat ein lieber Mensch Krebs? Warum mussten die vielen Menschen im Tsunami sterben? Warum die Millionen Juden im Dritten Reich?

Ihr hättet alle das gleiche verdient – das ist eine Antwort, ja, und doch lässt sie uns unbefriedigt zurück. Doch das muss wohl so sein: Wie könnten wir uns anmaßen, Gott wirklich zu verstehen? Wie können wir uns anmaßen, mit Gott über seinen Willen zu diskutieren? Heute, bei diesem Predigttext, wirkt Gott für mich fern und unverständlich, obwohl es doch um seine Gnade geht. Gottes Gnade ist es, dass ich noch hier stehe. Aber warum ich? Warum nicht jemand anders?

Ich muss an Dietrich Bonhoeffer denken, dessen Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ wir heute in Sennfeld bei einer Beerdigung gehört haben. So viele Menschen hat es seitdem tief berührt, aber wäre es ohne den Krieg, ohne Gefangenschaft und drohende Ermordung entstanden? Wohl eher nicht. Ich möchte damit auf keinen Fall sagen, dass Leiden gut ist, aber dass auch daraus Gutes entstehen kann. Gottes Wege können wir nicht verstehen. Für Jesus steht aber ganz klar im Vordergrund: Gott ist gnädig. Er ist wie der Gärtner, den dem Baum noch ein Jahr Zeit lässt. Vermutlich wird er ihm sogar noch ein weiteres Jahr gönnen, wenn er immer noch keine Früchte trägt. Gott ist gnädig. Das ist es, was heute, am Buß- und Bettag, wichtig für uns ist. Gott straft uns eben gerade nicht. Auch nicht die Menschen, die in Siloah umgekommen sind. Auch nicht die, die vor der Zeit sterben. Nicht die schwer Kranken. Es ist keine Strafe Gottes. Denn Gott will nicht unseren Tod, sondern unser Leben. Er will, dass wir frei von Angst ein Leben leben, das ihm gefällt. Ein Leben, das Frucht bringt. Da werden wir sicher oft versagen. Doch Gott ist gnädig. Er vergibt uns. Er ist für uns da, düngt uns, wie der Gärtner den Baum. Er nimmt unsere Schuld auf sich, mit der wir uns belasten. Er macht uns frei, damit wir leben können.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.