Nichts ist älter als die Zeitung von heute - Nachlese

"Nichts ist älter als die Zeitung von heute - die Nachrichtenbranche zwischen schneller Neugierbefriedigung und ethischer Verantwortung": Unter diesem Titel diskutierte ich am Dienstag Abend mit Eberhard Schellenberger (Bayerischer Rundfunk, Welle Mainfranken), Alexander von Halem (Blogger und Experte für Social Media) und Anton Sahlender (Leseranwalt der Mainpost) im Museum Johanniskapelle in Gerolzhofen. Die Moderation hatte Andreas Kemper, Leitender Redakteur bei der Main-Post und Mitglied der Chefredaktion.

Das Web 2.0, wie es oft genannt wird – also das „Mitmach-Internet“, in dem es keine klare Abgrenzung mehr zwischen „Sendern“ und „Empfängern“ einer Nachricht gibt, sondern jeder zum Sender werden kann: Es hat die Nachrichtenbranche gehörig durcheinandergebracht. Braucht es überhaupt noch eine Lokalzeitung, wenn wir eigentlich sowieso alles über Twitter erfahren können? Und wenn ja: Wo muss sie sich ansiedeln zwischen Schnelligkeit der Meldung und Qualität, die normalerweise nur durch zeitintensive Recherchen und redaktionelle Arbeit am Text zu erreichen ist?

Und dann wäre da noch die ethische Verantwortung. Nicht exakt gleichzusetzen mit Qualität, wie es ein Twitterer vermutete. Aber doch in einer gewissen Korrelation zueinander. Ich kann auch einen qualitativ hochwertigen Artikel schreiben – und ihn trotzdem aus ethischen Gründen nicht veröffentlichen, weil er Maßstäbe verletzt, die ich an meine Artikel ansetze. Aus gutem Grund, wegen der definitiv vorhandenen Nachahmungsgefahr („Werther-Effekt“), werden etwa Berichte über Suizide nur in Ausnahmefällen veröffentlicht.

Wenn ich mir die Online-Aktivitäten der Mainpost-Redakteure und der offiziellen Twitter-Accounts so ansehe, dann ist mein Eindruck: Unsere Lokalzeitung hier macht sich durchaus eine Menge Gedanken zu dem Thema. Und zwar beileibe nicht nur die ganz offensichtliche Fragestellung: Wie können wir als Zeitung in der veränderten Medienwelt überleben? Sondern auch: Wie verändert die Schnelligkeit des Web 2.0 eine Nachricht? Ist es verantwortbar, dass jemand zwei Stunden nach einem Unfall mit mehreren Toten auf den Unfallfotos das völlig zerstörte Auto eines nahen Verwandten entdeckt und so von dessen Tod erfährt? Oder, ganz anders: Was bringt eine Nachricht, wenn sie im Lokalteil erst zwei Wochen nach der Veranstaltung erscheint? Und – wo siedeln wir uns an zwischen der persönlichen Subjektivität eines einzelnen und der objektiven Berichterstattung, die viele von einer Zeitung erwarten?

Was ist überhaupt eine Nachricht – das Spiegelei eines Twitterers, der Weisheitszahn von Herrn Sahlender, Alexander von Halems Operation? Subjektiv sind diese Dinge für die einzelnen Menschen ja tatsächlich wichtig. Für andere machen sie den Menschen hinter den „normalen“ Nachrichten sichtbar, geben der Person, der man da folgt, mehr „Tiefe“. Gerade, wenn man sich nicht (so oft) von Angesicht zu Angesicht sieht, sind diese Dinge wichtig. Auch, um einschätzen zu können, wie Nachrichten von diesem „Sender“ einzuordnen sind. Ganz subjektiv.

Dass es absolute Objektivität nicht gibt, darüber waren wir uns schnell einig. Alexander von Halem als Blogger hat da sicher mehr Freiheiten als ein Zeitungsredakteur: Sein Blog ist mit „Tagebuch“ überschrieben und von daher schon vom Konzept eher eine Sammlung persönlicher Gedanken und Eindrücke.

Abgesehen von diesem einen Punkt waren wir meistens ziemlich einer Meinung. Schade eigentlich – vielleicht hätte man jemanden einladen sollen, der in dem einen oder anderen Punkt eine grundsätzlich andere Meinung vertritt – und an dem man dann auch die eigene Position hätte schärfen können. So blieb es bei einem netten Gedankenaustausch, der als Übersicht über die ganze Thematik für viele aus dem Publikum aber sicher auch gut und informativ war.

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Comments

Gutes Posting von Dir über die Veranstaltung. Oha, vertont. Ist das Standard bei Dir? Respekt!

Antwort auf von Klaus Wolfrum (nicht überprüft)

Ist Standard und kann auf itunes oder podcast.de abonniert werden... :-)

(Allerdings ist die Soundqualität nur so mittelmäßig, aber immerhin...) 

Antwort auf von Heiko Kuschel

Danke für Deinen Beitrag, Heiko. Stimme Dir weitestgehend zu.

Das ganze zusätzlich als Podcast bzw. Abo mittels iTunes & Co. anzubieten ist natürlich ein feiner Service. Zum Ton: Machst Du das mit Headset? Ploppschutz?

Grüße,

Alexander

Antwort auf von Alexander von Halem (nicht überprüft)

Ehrlich gesagt, Audio läuft bei mir mit ziemlich niedriger Priorität. Headset, Aufnahme mit Audacity, Geräusche am Anfang und Ende abschneiden, Speichern als MP3. Keine weitere Bearbeitung, außer das Telefon klingelt zwischenrein. :-) Für Tipps, wie mans mit wenig Aufwand besser machen kann, bin ich aber offen und dankbar. 

Auch ich hätte mir etwas mehr Diskussion gewünscht, das eigentliche Thema ging irgendwie unter, es wurde lieber über die angeblichen Qualitätsunterschiede der Medien gesprochen und wenig diskutiert - lag wahrscheinlich am Publikum oder an den falschen Gästen oder was auch immer. Grundsätzliche Anmerkung: ein Moderator sollte immer neutral und nicht selber Vertreter einer Seite sein. Die genannten Beispiele zur Online-Berichterstattung waren fast ausschließlich negativ. In „diesem Internet“ gibt es aber nicht nur Mord, Totschlag und Unfallberichterstattung (wenig recherchiert und zu schnell veröffentlicht). Ja, es geht durchaus auch positiv, wie von den beiden „Online-Vertretern“ auf dem Podium ja vorgestellt wurde. Das hört man allerdings in der Holzmedienbranche wohl nicht so gerne, hm!? Mir persönlich ist zudem negativ aufgefallen, dass die Mainpost zwar als lokales Medium dargestellt wird, sich aber gerne mit dem Internet vergleicht. Der Vergleich hinkt "etwas" hinterher! Die Ansätze und Zielsetzungen sind doch völlig unterschiedlich! Noch dazu wurden verschiedene Statistiken zu Nutzerzahlen in den Raum geworfen, welche von "Offlinern" erstens nicht verstanden wurden und zudem auch nichts über die tatsächliche Reichweite aussagen. Laut Abschlusskommentar sollten die „Onliner" doch bitte mehr Verständnis gegenüber den „Offlinern" anbringen, nur weil die Kritik an der Twitterwall nicht verstanden wurde...sorry. Ich finde, dass mit individuell auswählbaren, personalisierten Inhalten könnten Lokalzeitungen in Zukunft punkten, ebenso mit gut recherchierten Hintergrundberichten zu lokalen Geschehnissen, anstelle von dpa-Meldungen, die man nun mal schneller online zu lesen bekommt. Aber schön, dass ich jetzt einige Gesichter hinter den Accounts kenne und prinzipiell so eine Veranstaltung zur Austauschmöglichkeit nicht schlecht, allerdings lieber in Zusammenarbeit mit "diesem Internet".