"gute" Atheisten und "schlechte" Christen
Predigt am 11. Sonntag nach Trinitatis 2011
Schonungen, 4.9.2011
Text: Mt 21, 28-32
Was meint ihr aber? Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zu dem ersten und sprach: Mein Sohn, geh hin und arbeite heute im Weinberg. 29 Er antwortete aber und sprach: Nein, ich will nicht. Danach reute es ihn, und er ging hin. 30 Und der Vater ging zum zweiten Sohn und sagte dasselbe. Der aber antwortete und sprach: Ja, Herr! und ging nicht hin. 31 Wer von den beiden hat des Vaters Willen getan? Sie antworteten: Der erste. Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr. 32 Denn Johannes kam zu euch und lehrte euch den rechten Weg, und ihr glaubtet ihm nicht; aber die Zöllner und Huren glaubten ihm. Und obwohl ihr's saht, tatet ihr dennoch nicht Buße, so dass ihr ihm dann auch geglaubt hättet.
Liebe Gemeinde!
Als Citykirchenpfarrer habe ich ja hauptsächlich mit Leuten zu tun, die nicht gerade jeden Sonntag in die Kirche gehen. Seltsamerweise meinen aber viele von ihnen, sie müssten sich vor mir dafür rechtfertigen. Da kommen irgendwie immer die gleichen Argumente, die Sie vielleicht auch schon gehört haben. „Gott finde ich auch im Wald“ und „Sonntags will ich ausschlafen“ und natürlich „der Gottesdienst ist so langweilig, der sagt mir gar nichts.“
Über jeden einzelnen dieser Punkte könnte man jetzt natürlich diskutieren. Aber ich will die jetzt einfach mal so stehen lassen. Denn es gibt noch ein paar andere Äußerungen, die für uns mehr oder weniger regelmäßige Gottesdienst-Gängern viel unangenehmer sind. Die werden Ihnen sicher auch nicht gefallen, und vermutlich werden Sie sie auch weit von sich weisen. Aber sie kommen immer wieder. Sätze wie „Das sind doch eh alles nur Heuchler. Sonntags gehen sie in die Kirche und schon eine Stunde später zerreißen sie sich das Maul über jemanden.“ Oder: „Die gehen doch nur da hin, um gesehen zu werden. Schau mal, was ich heute für ein tolles Kleid anhabe, und so was.“
Natürlich glaube ich nicht, dass Sie in die Kirche gehen, damit Sie gesehen werden. Aber die Anfrage an unsere Glaubwürdigkeit als Christen halte ich schon für außerordentlich wichtig. Und da nehme ich mich selbst nicht aus. Wie oft bin ich einem anderen Menschen nicht gerecht geworden? Wie oft habe ich nicht so gehandelt, wie es für einen „guten Christen“ selbstverständlich sein sollte? Bin ich nur ein Heuchler, ist mein Bekenntnis nur ein Lippenbekenntnis?
Ich hoffe nicht. Aber natürlich sind wir Menschen mit Fehlern. Sind wir vielleicht wie der zweite Sohn in der Geschichte: der, der sagt: „Ja, Herr, ich will!“ - und nachher tut er doch nichts? Müsste sich unser Leben nicht viel deutlicher vom Leben anderer Menschen unterscheiden? Woran merkt man eigentlich im Alltag, dass wir Christen sind? Sind wir vielleicht gar schlechte Boten der Liebe Gottes, und wegen unserem Handeln wenden sich andere von Gott ab, weil sie uns für Heuchler halten? Ausschließen kann das keiner von uns, denn wir haben alle Fehler, wir machen Fehler, wir sind Menschen wie alle anderen auch, mit guten und schlechten Seiten.
Und was ist dann mit denen, die sich weiter von der Gemeinschaft der Christen entfernt haben? Die, die gar nicht unbedingt dazu gehören wollen, die genau diese ganzen Kritikpunkte immer wieder anbringen.
Wenn ich mit Leuten rede, die in der Kirche engagiert sind, dann höre ich da manchmal so einen leisen Unterton: Wir sind die Besseren. Die kommen doch höchstens noch an Weihnachten in die Kirche.
Sind diese Leute wie der Sohn, der antwortete: „Nein, ich will nicht“? Manchmal kommt es mir fast so vor. Denn sehr viele, die sich mit dem Glauben auseinandersetzen, der Kirche aber fern bleiben, die sind trotzdem auf der Suche danach, was ein „gutes Leben“ ausmacht. Da muss man gar nicht erst Gandhi zitieren oder den Dalai Lama, die beide leuchtende Vorbilder für ein „gutes“ Leben sein können. Nein: Es gibt erstaunlich viele Menschen, die auf der Suche sind nach Werten, oder die sie für sich schon gefunden haben. Die sich engagieren für das, was ihnen wichtig ist. Die danach streben, ein „besserer Mensch“ zu werden, und in ihren Zielen oft erstaunlich weit mit unseren christlichen Zielen und unseren Werten übereinstimmen. Übers Internet habe ich einen sehr sympathischen Atheisten kennen gelernt. Ich habe ihn noch nie getroffen, mich aber über Email, Twitter und andere Kanäle viel mit ihm ausgetauscht. Und immer wieder haben wir festgestellt: Wir sind uns in vielem ähnlich, ja, fast gleich. Mit einer einzigen Ausnahme: Der Glaubensentscheidung, ob es Gott gibt oder nicht.
Wenn wir mal davon ausgehen, dass es Gott wirklich gibt, und darum sitzen wir ja hier: Was wird Gott dann eines Tages mit diesem Menschen machen? Mit einem, der sich vom Glauben abgewendet hat, aber trotzdem nach bestem Wissen und Gewissen ein „guter Mensch“ war? Ehrlich gesagt: Ich bin froh, dass ich das nicht zu entscheiden habe. Und hoffe da auf Gottes allumfassende Liebe.
In Jesu Gleichnis sind ja auch beide Söhne des Weinbergbesitzers. Und das bleiben sie auch: Der, der sagt „ja ja“ und tut nachher nichts – genau so wie der, der erst Nein sagt, dann aber doch die Arbeit erledigt. Und ganz ehrlich: Wir schmeißen unsere Kinder doch auch nicht raus, wenn sie mal vergessen, ihre Sachen aufzuräumen, wie sie es versprochen hatten.
Und umgekehrt die Frage: Wenn wir davon ausgehen, dass es Gott gibt: Was wird er dann eines Tages mit uns machen? Die wir zwar an Gott glauben, aber unserem Glauben sicher auch oft nicht gerecht werden? Manchmal besser, manchmal schlechter, aber die wir doch uns unsere Rechtfertigung vor Gott nie selbst verdienen können?
Ich habe hier jetzt einen ziemlichen Gegensatz aufgemacht zwischen „Leute, die jeden Sonntag in die Kirche gehen und aber den Ansprüchen Gottes doch nicht genügen“ und auf der anderen Seite „Leute, die mit dem Glauben nichts zu tun haben, aber trotzdem so gut es geht ein verantwortungsvolles Leben führen“. Das ist natürlich Quatsch. So klar sind die Grenzen nicht. Aber ich finde, es war ganz gut, um sozusagen die Pole aufzuzeigen, zwischen denen unser Leben sich bewegt. Und natürlich gibt's auch noch die, die von Gott nichts wissen wollen und die auch keinen Anspruch an sich selbst haben, ein gutes Leben zu führen. Die lasse ich heute mal ganz außen vor.
Ich glaube, was Jesus uns mit diesem Gleichnis zeigen will, ist: Gottes Liebe gilt für uns alle. Aber verdienen können wir sie uns nicht. Wir dürfen uns unserer Erwählung nicht zu sicher sein, nur weil wir ab und zu in die Kirche gehen und uns vielleicht auch sonst in der Gemeinde engagieren. Ja, Gottes Liebe gilt uns. Aber auch den anderen. Und manchmal sind uns die anderen in ethischen Fragen sogar voraus.
Ohne Stolz und Überheblichkeit und ohne über andere und ihren Lebensweg zu urteilen, lasst uns einfach nur eines tun: Gemeinsam mit allen, die guten Willens sind, an einer besseren, gerechteren Welt arbeiten.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.