Luther und das Wikitum aller Gläubigen

Martin Luther hat das Wiki erfunden.

Na ja, nicht ganz. Aber irgendwie doch: Ein Wiki – wie z.B. die bekannte Wikipedia – ist eine Sammlung von Texten, an denen alle mitarbeiten können. Jede und jeder kann den Text verändern. Wenn einer Quatsch reinschreibt, bemerkt es jemand anders normalerweise sehr schnell und behebt den Schaden. In einem Wiki entsteht durch die Zusammenarbeit vieler etwas, das viel größer ist als das, was die einzelnen Autorinnen und Autoren je für sich hätten erstellen können. Eine tolle Sache, wenn man sich z.B. die bekannte Wikipedia ansieht. Nicht ohne Fehler, aber doch von einer erstaunlichen Genauigkeit, Fülle und Aktualität.

Und Martin Luther hats erfunden.

Na ja, nicht ganz. Aber er hat die Kirche, die Gemeinschaft aller Gläubigen, mit einem Wiki verglichen – ohne zu wissen, was das ist. Er sagte nämlich: In der Kirche sind alle gleich. In der Kirche können alle mitarbeiten. Es gibt nicht nur ein kleines Autorenteam (Priester, Bischöfe, Papst), sondern jede und jeder ist den anderen gleichgestellt. Und wenn mal einer was falsch macht, ist das auch nicht so schlimm. Das wird schon wieder ausgebügelt. In der Sprache seiner Zeit nannte er das das „Priestertum aller Gläubigen“ Es steht in einer seiner reformatorischen Hauptschriften aus dem Jahr 1520, „An den christlichen Adel deutscher Nation“:

Man hats erfunden, daß Papst, Bischöfe, Priester und Klostervolk der geistliche Stand genannt wird, Fürsten, Herrn, Handwerks- und Ackerleute der weltliche Stand. Das ist eine sehr feine Erdichtung und Trug. Doch soll niemand deswegen schüchtern werden, und das aus dem Grund: alle Christen sind wahrhaftig geistlichen Standes und ist unter ihnen kein Unterschied außer allein des Amts halber, wie Paulus I. Kor. 12, 12 ff. sagt, daß wir allesamt ein Leib sind, (obwohl) doch ein jegliches Glied sein eigenes Werk hat, womit es den andern dienet. Das alles macht, daß wir eine Taufe, ein Evangelium, einen Glauben haben und (auf) gleiche (Weise) Christen sind, denn die Taufe, Evangelium und Glauben, die machen allein geistlich und Christenvolk. Daß aber der Papst oder Bischof salbet, Platten macht, ordiniert, weihet, sich anders als Laien kleidet, kann einen Gleißner und Ölgötzen machen, macht aber nimmermehr einen Christen oder geistlichen Menschen. Demnach werden wir allesamt durch die Taufe zu Priestern geweiht, wie Petrus (I. Petr. 2) Sagt: »Ihr seid ein königliches Priestertum und ein priesterliches Königreich«, und Offenbarung 5, 10: »Du hast uns durch dein Blut zu Priestern und Königen gemacht.« Denn wo nicht eine höhere Weihe in uns wäre, als der Papst oder Bischof gibt, so würde durch des Papstes und Bischofs Weihen nimmermehr ein Priester gemacht, er könnte auch weder Messe halten, noch predigen, noch absolvieren.

Die Kirche als ein Wiki, die Gläubigen als ihre Autorinnen und Autoren. Alle haben erst einmal die gleichen Rechte, auch wenn es aus organisatorischen Gründen natürlich Leute geben muss, die sich darum kümmern, dass alles reibungslos läuft. Bei Wikipedia heißen sie Admins. In der „echten“ Kirche Pfarrerinnen und Pfarrer, Diakoninnen und Diakone, Religionspädagog(inn)en, Kirchenvorstand, Pfarramtssekretärinnen und und und... Natürlich haben wir in der Kirche noch einen Autor, der über allem steht. Der, so hoffe ich jedenfalls, mit seinem Geist anwesend ist in den vielen Artikeln, die wir als Kirche so schreiben. Der die Gemeinschaft segnet, die wir da pflegen.

Dieses Priestertum aller Gläubigen möchte ich pflegen in der Citykirche. Wir haben es begonnen mit einem – wie soll ich sagen? – Sondierungstreffen für eine Thomasmesse oder vielleicht auch einen ganz anderen Gottesdienst. Vergangenen Montag traf sich dieser mehr oder weniger zufällig zusammengewürfelte Haufen, der am „Artikel“ Thomasmesse in Schweinfurt mitschreiben möchte. Von ziemlich kirchenfernen Katholiken bis hin zu Menschen, die von Lobpreisgottesdiensten geprägt sind, war eine große Bandbreite vertreten, allen gemeinsam aber war eine gewisse Unzufriedenheit mit der Kirche, wie sie zur Zeit ist. Ich bin sehr gespannt, wie wir von dieser Ausgangsbasis zu einer gemeinsamen Gottesdienst kommen werden. Und ich freue mich darauf, meinen Teil beizusteuern, aber auch die Beiträge der anderen anzunehmen. Vielleicht kommen Sie ja noch dazu? Unser nächstes Treffen ist am Montag, 19.10., 19 Uhr im Martin-Luther-Haus am Martin-Luther-Platz. Ich freue mich darauf.

Übrigens: Auch die EKD hat es erkannt und die technischen Möglichkeiten unserer Zeit genutzt. Seit heute gibt es unter www.evangelisch.de ein neues Portal mit einem Community-Bereich, in dem man sich über Glaubens- und Lebensfragen austauschen kann, eigene Kreise gründen kann und noch vieles mehr. Alles das in einer großen Offenheit auch für kritische Fragen und für Menschen, die eigentlich nichts mehr mit der Kirche zu tun haben wollen. Ich frage mich, was aus der evangelischen Kirche geworden wäre, wenn es diese Möglichkeiten schon zu Luthers Zeiten gegeben hätte. Ich glaube, Luther hätte dieses Medium ausgiebig genutzt – als eine Möglichkeit, das Priestertum aller Gläubigen wirklich umzusetzen. Sozusagen das Wikitum aller Gläubigen. Machen Sie mit!