Predigt beim MehrWegGottesdienst 4.3.18: Notverwandte

Notverwandte.
Was für ein seltsames Wort.
Was haben wir uns selber im Team geärgert über dieses Thema.
Warum nicht mal was einfaches?
Nein, „Notverwandte“ musste es sein.
Elinors Hunde waren Schuld.
Denn die mussten miteinander auskommen, ob sie wollten oder nicht. Und dann fiel im Team dieses Wort: Sie sind Notverwandte. Nun, warum auch nicht?
Notverwandte.
Ein neu erfundenes Wort. Von Margit.
Notverwandte.
Ein schillerndes Wort.
Verwandte in der Not?
Menschen, die die gleiche Not mit sich herumtragen wie ich?
Jeder hat doch sein Päckchen zu tragen.
Jede hat ihre Not.
Wir zeigen‘s bloß oft nicht so gern.
Auf Facebook, bei Klassentreffen und im Supermarkt – wer würde da schon sagen: „Mir geht‘s total mies“? 
Gut dastehen wollen wir.
Strahlen.
Ein Gewinnerlächeln auf dem Gesicht.
Alles prima bei mir, bei uns.
Wir haben‘s selbst in unserem Team gemerkt:
Unsere Nöte,
das, was uns niederdrückt,
was uns umtreibt,
was uns klein macht:
Das wollen wir nicht erzählen.
Das wollen wir nicht teilen.

Und so bleiben wir
hinter unseren Masken
Lächeln, wo wir gern weinen würden
und wissen gar nicht, ahnen vielleicht:
Auch mein Gegenüber trägt seinen, ihren Stein.
Auch mein Gegenüber schleppt so manche Not mit sich herum.
Notverwandte.
Gemeinsam sind wir unterwegs.
Tragen unsere Steine, unsere Nöte
und bleiben so oft doch allein damit.
Wie wäre es,
wenn wir uns manchmal ein bisschen mehr öffnen?
Wenn wir zu unseren Nöten stehen
Wenn wir die Nöte der anderen sehen.
Wenn wir einfach nur sagen:
Ich bin für dich da.
Ich hör dir zu.
Ich bin da.

Ich bin da.
So könnte man übersetzen, was Gott damals dem Mose als seinen Namen nannte.
Ich bin da.
Ich, Gott, bin der, der dich befreit.
Aus der Knechtschaft, der Sklaverei, damals in Ägypten.
Aus der Not heute.
Unsere Steine liegen da vorne, am Kreuz.
Doch die Nöte sind noch da, natürlich.
So schnell gehen sie nicht weg.
Wir sind immer noch krank, traurig, pleite, verzweifelt, perspektivlos, orientierungslos.
Aber eines ist anders:
Wir sind darin nicht allein.
Denn einer ist da, der sagt einfach:
Ich bin da.
Ich bin da.
Ich höre dich.
Ich sehe dich.
Ich trage dich, wenn du nicht weiter kannst.
Ganz sichtbar wurde er, der „Ich bin da“,
damals, vor zweitausend Jahren,
als er ein Mensch wurde.
Ein Mensch, einer von uns.
Einer, der unsere Nöte selbst erlebte.
Einer, der lebte, liebte, stritt
und der die Zweifel kannte, die Verlassenheit, die Anfechtung, die Angst vor dem Tod.
Einer, der rief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Einer, der da war.
Einer, der starb.
Für uns.
Am Kreuz.
Fünfhundert Jahre früher hatte der Prophet Jesaja einen seltsamen Text geschrieben. Er schrieb, als würde er ihn kennen, diesen Jesus, diesen menschgewordenen Ich-bin-da. Jesaja schrieb:

3 Alle verachteten und mieden ihn; denn er war von Schmerzen und Krankheit gezeichnet. Voller Abscheu wandten wir uns von ihm ab. Wir rechneten nicht mehr mit ihm. 
4 In Wahrheit aber hat er die Krankheiten auf sich genommen, die für uns bestimmt waren, und die Schmerzen erlitten, die wir verdient hatten. Wir meinten, Gott habe ihn gestraft und geschlagen; 
5 doch wegen unserer Schuld wurde er gequält und wegen unseres Ungehorsams geschlagen. Die Strafe für unsere Schuld traf ihn und wir sind gerettet. Er wurde verwundet und wir sind heil geworden. 
Jesaja 53

Unsere Not. Unsere Krankheit. Alles, was uns belastet: Er hat es auf sich genommen. Er hat nicht nur gesagt: „Ich bin da“. Er ist viel, viel weiter gegangen. Er hat gesagt: Gib das alles mir.
Ob ich das annehmen kann?
Was heißt das eigentlich für meine ganz eigene Not?
Weg ist sie nicht.
Noch nicht.
Vielleicht wird sie in diesem Leben niemals ganz weg sein.
Aber ich bin nicht allein damit.
Andere sind mit mir auf dem Weg.
Meine Not-Verwandten.
Und besonders er. Jesus.
Er macht sich selbst
verwandt mit mir in meiner Not.
Freiwillig
ohne Not
macht er sich mir verwandt.
Geht mit mir.
Und spricht zu mir:
Ich bin da.