Predigt: Befreit zum Frieden
Text: Joh 7, 37-39
Aber am letzten Tag des Festes, der der höchste war, trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.
Liebe Gemeinde!
Voller Sorgen und voller Entsetzen blicken wir in diesen Tagen auf die Auseinandersetzungen in Israel und Palästina. Wir hören von Toten und Verletzten, auch Kindern.
Und hier bei uns brennen israelische Flaggen, werden unsere jüdischen Glaubensgeschwister beleidigt und bedroht. Antisemitische Parolen werden geschrien oder ins Netz geschrieben als hätte es unsere Vergangenheit nie gegeben. Unerträglich ist das, ganz egal, wie man zur aktuellen israelischen Politik stehen mag. Genauso unerträglich ist es, wenn nun Musliminnen und Muslime in unserem Land angegriffen werden.
Von all den anderen Katastrophen auf der Welt mag ich heute mal gar nicht reden, es ist einfach genug, nein, es ist zu viel, um alles aufzunehmen, alles zu verstehen, alles zu verarbeiten.
Voller Sorgen und Entsetzen blicken wir nach Israel und sehen die Gewalt, die dort wieder ausgebrochen ist.
Und dann hören wir unsere heutige Geschichte aus genau diesem Land, in dem heute, jetzt in diesem Moment, die Raketen fliegen – und sie scheint so völlig aus einem anderen Leben zu stammen. Johannes erzählt in seinen ersten Kapiteln davon, wie Jesus anfängt, sich der Welt zu offenbaren – und wie diese Welt aber nicht versteht, was er ihr sagen will. Das Laubhüttenfest feiern sie gemeinsam, Sukkot, so eine Art Erntedankfest im Herbst zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten, bei dem sich die Juden laubgeschmückte Hütten bauen und eine Woche lang mehr oder weniger in diesen Hütten leben. Wahrscheinlich gab es damals eine Zeremonie des Wasserschöpfens, auf die sich Jesus mit seinen Worten bezieht: „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke!“
Sukkot. Laubhüttenfest: die Juden erinnern sich an die Befreiung. An ihren langen Weg in die Freiheit, weg aus der ägyptischen Sklaverei. Was hatten sie alles auf sich genommen, in Hütten und Zelten gehaust, bis sie im gelobten Land angekommen waren. Grob gesagt eintausend Jahre war das damals her. Eine bewegte tausendjährige Geschichte in diesem Land hatten sie hinter sich, als Jesus gemeinsam mit ihnen das Fest feierte, das Fest der Befreiung und des Aufbruchs.
Bild: Helene Souza / pixelio.de
Was für eine Symbolik: Jesus, der Befreier von Sünde und Tod, feiert das Fest der Befreiung aus der Sklaverei! Ein Moment, den wir erst im Rückblick verstehen können. Ein Moment, der jetzt schon alles ändern würde – würden die Menschen nur verstehen, was er ihnen sagt. Sie schöpfen Wasser, weil es zum Fest gehört – und er? Er ruft ihnen zu: „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! 38 Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“
Die Menschen um ihn herum rätseln: Wer ist das? Ist er wirklich der Christus, der Messias? Ist er ein neuer Prophet, von Gott gesandt? Oder vielleicht doch nur ein Angeber und Spinner? „So entstand seinetwegen Zwietracht im Volk“ heißt es wenige Verse nach unserem Predigttext.
Und heute?
Wieder einmal, seit Beginn des 20. Jahrhunderts und noch mehr seit der Staatsgründung 1948, steht das Land Israel für die Verheißung von Freiheit, von Selbstbestimmung nach zweitausend Jahren Verfolgung und Ausgrenzung. Und die, die schon vorher da wohnten, fühlen sich zurückgesetzt, benachteiligt, aus ihrer Heimat vertrieben. Eine einfache Lösung für diesen jahrtausendealten Konflikt gibt es nicht. Alles ist festgefahren, niemand will nachgeben, und in der Zwischenzeit fliegen die Raketen und Bomben und Menschen sterben im Heiligen Land, da, wo Jesus lebte und Versöhnung predigte.
Um Befreiung geht es im Laubhüttenfest. Und Jesus deutete diese Befreierrolle auf sich. „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“
Ja, Jesus, uns dürstet. Nach Frieden. Nach Gerechtigkeit. Nach Freiheit. Doch was können wir tun, wenn dieses Pulverfass wieder einmal explodiert? In diesem Fall sind wir weit weg und es hilft wohl nur eines: Beten. Für Frieden und Versöhnung. Und öffentlich eintreten dafür, dass die Waffen schweigen, auf beiden Seiten, das ist die einzige Chance. Unsere Politikerinnen und Politiker auffordern, sich für Waffenstillstand und einen neuen Friedensprozess einzusetzen. Und das noch: hier bei uns aufmerksam sein für die Nöte aller Menschen, egal welchen Glaubens und welcher Herkunft.
Hoffnung machen mir kleine Szenen der Versöhnung. Vor manchen Synagogen, die angegriffen wurden, halten die Menschen nun rund um die Uhr Wache. Sie setzen sich auf einen Stuhl und bleiben einfach da, bis jemand anderes sie ablöst. Oder ein Foto, das ich gestern gesehen habe von zwei Krankenschwestern, eine offensichtlich jüdisch, die andere muslimisch, die sich umarmten und Zettel mit „Frieden!“ in hebräischer und arabischer Schrift in die Kamera hielten. Es geht. Es befreit. Befreit vom Blick auf mich und das, was mich betrifft. Weitet den Blick hin zum anderen und seinen Bedürfnissen. Es hält die Raketen, die heute fliegen, nicht auf. Aber vielleicht die, die in ein paar Jahren fliegen würden. Wer weiß?
Um Befreiung geht es im Laubhüttenfest. Und Jesus deutete diese Befreierrolle auf sich. „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“
Ja, Jesus, uns dürstet. Nach Frieden. Nach Gerechtigkeit. Nach Freiheit.
Auch in unserem Leben ist so vieles, was uns einschränkt. Nicht nur Corona, das natürlich auch.Auch wir haben Sorgen. Leiden unter unnötigem Streit. Trauern vielleicht um einen Menschen oder eine in die Brüche gegangene Beziehung. Haben Angst vor der Zukunft, von der wir nur wissen, dass vieles sich verändern wird, ob wir es wollen oder nicht.
Wovon fühlen Sie sich eingeschränkt, niedergedrückt, ja versklavt? Was bestimmt Ihr Leben, ohne dass Sie es wollen? Was senkt Ihren Blick?
Um Befreiung geht es im Laubhüttenfest. Jesus will uns befreien. Befreien vom Blick auf das eigene. Den Blick weiten auf das, was die Menschen um mich herum benötigen.
Und gleichzeitig verspricht er: Du bist dabei nicht allein. Wenn du Durst hast, erfrische ich dich. Ich schenke dir meinen Geist, den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Wenn du das ernst nimmst, dann werden von dir Ströme lebendigen Wassers fließen.
Dann wirst du neue Wege gehen, auf die Menschen zu. Dann wirst du ein Kristallisationspunkt des Friedens und der Liebe sein. Vertrau auf die neuen Wege, die Gott dir zeigt!
Um Befreiung geht es im Laubhüttenfest. Und Jesus deutete diese Befreierrolle auf sich. „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“
Ja, Jesus, uns dürstet. Nach Frieden. Nach Gerechtigkeit. Nach Freiheit. Gib uns das Wasser des ewigen Lebens. Befreie uns, befreie uns, auch neue Wege mutig zu gehen.
Amen.