Aus-geschöpft? Ansprache beim MehrWegGottesdienst am 11.10.2020

Aus-geschöpft. Leer. Die Suppe ist alle. Nichts mehr da.

Aus-geschöpft. Leer. Am Ende.

Keine Umarmungen, keine Nähe, keine großen Feiern, ein halbes Jahr schon und länger und kein Ende in Sicht. 

Aus-geschöpft. Leer. Am Ende.

Die Kassen leer, nur wenig Hoffnung, dass es schnell besser wird.

Aus-geschöpft. Leer. Am Ende.

Die einen in Kurzarbeit, die anderen rackern sich zu Tode. Erschöpft, unzufrieden sind am Ende alle.

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? So ruft Jesus am Kreuz mit Worten des 22. Psalms.

Warum hast du mich verlassen?
Ich schreie, aber meine Hilfe ist fern.

Und weiter geht die Klage im Psalm:

Ich bin ausgeschüttet wie Wasser,
alle meine Gebeine haben sich zertrennt;
mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs.
Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe,
und meine Zunge klebt mir am Gaumen,
und du legst mich in des Todes Staub.

Aus-geschöpft. Leer. Am Ende.

Die tägliche Tretmühle wird immer schwerer.

Keine Ruhe im Alltag.

Alle fordern was von dir.

Aber wer gibt?

Wer tröstet?

Wer richtet mich auf?

Selbst die Freizeit wird zum Stress.

Irgendwie muss immer was getan werden.

„Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach da zu sitzen und vor sich hin zu schauen.“

- das schreibt Astrid Lindgren.

Habe ich die Zeit? Wann? Wo?

Aus-geschöpft. Leer. Am Ende.

Keine Lust mehr auf Corona-Disziplin.

Keine Lust mehr auf Abstand, Regeln, Vorsicht.

Will wieder umarmen, lachen, Menschen nahe sein.

Und es geht doch nicht.

Stehe allein hier in der Kirche, nur zwei Kameras sind da bei mir.

Und ihr? Hört mir jemand zu? 

Ich schreie, aber meine Hilfe ist fern.

Aus-geschöpft. Leer. Am Ende.

So geht es nicht nur uns Menschen, nicht nur in Corona-Zeiten.

Wir können’s schon fast nicht mehr hören, und doch:

Unsere ganze Welt ist so.

Aus-geschöpft. Leer. Am Ende.

Wir haben sie leer gemacht. Aus-geschöpft, was geht. Nichts mehr drin. Jedes Jahr verbrauchen wir zweimal mal so viel, wie die Erde uns geben kann. 

Wir wissen: Wir müssten radikal umsteuern. Aber wir haben Angst, Angst vor Wirtschaftscrash, Arbeitslosigkeit, Armut. Mutlos drehen wir an ein paar Schräubchen und recyceln ein bisschen Plastik. Und meinen, damit sei die Welt gerettet.

Aus-geschöpft. Leer. Am Ende.

Was macht mich wieder voll? Was gibt mir neue Energie?

Ein Brunnen kommt mir in den Sinn. Er steht in Heilsbronn, vor dem Münster. Doch ähnliche Brunnen gibt es an vielen Orten.

Mehrere Schalen fließen über mit Wasser. Sie geben ab von ihrem Überfluss. Und doch haben sie selbst immer genug.

Sie sind nicht aus-geschöpft, im Gegenteil. Sie sind immer voll. Und sprudeln doch, geben ab, teilen, was sie haben. 

Bernhard von Clairveaux hat einst dazu geschrieben:

Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale und nicht als Kanal,
der fast gleichzeitig empfängt und weitergibt,
während jene wartet, bis sie gefüllt ist.

Auf diese Weise gibt sie das, was bei ihr überfließt, ohne eigenen Schaden weiter.
Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugießen und habe nicht den Wunsch freigiebiger zu sein als Gott.

Die Schale ahmt die Quelle nach. Erst wenn sie mit Wasser gesättigt ist, strömt sie zum Fluss, wird sie zur See. Du tue das Gleiche! Zuerst anfüllen, und dann ausgießen.
Die gütige und kluge Liebe ist gewohnt überzuströmen, nicht auszuströmen.
Ich möchte nicht reich werden, wenn du dabei leer wirst.
Wenn du nämlich mit dir selber schlecht umgehst, wem bist du dann gut?
Wenn du kannst, hilf mir aus deiner Fülle,
wenn nicht, schone dich.

Aus-geschöpft. Leer. Am Ende.

Wer hilft mir, nicht leer zu werden? Wer füllt mich wieder auf?

Hat eigentlich Gott schon aus-geschöpft? Ist er schon am Ende mit seiner Schöpfung? Oder kommt da noch was?

Es wäre so sehr Zeit, Gott. So sehr. Die ganze Schöpfung ächzt und stöhnt. Wir sind leere Schalen, Gott. 

Und dann lese ich in der Schöpfungsgeschichte, dieser uralten Sage von der Erschaffung der Welt, die in ihren Bildern und Gedanken doch so viel Wahrheit enthält, wie Gott es tat. Als er fertig war. Als er aus-geschöpft hatte. Er tat einfach – nichts. Am siebten Tag ruhte Gott. Füllte sozusagen seine Schale wieder auf. Die „Krone der Schöpfung“, das letzte Schöpfungswerk Gottes nach dieser Erzählung: Das ist nicht der Mensch. Nein, es ist die Ruhe von der Arbeit.

Ruhe haben viele von uns gehabt in diesem Jahr. Mehr als ihnen lieb war. Und doch war sie für viele nicht erfüllend, denn sie war aufgezwungen, die Sorgen waren groß, die Unsicherheit auch.
Aber Gott: Er ist noch nicht am Ende mit seiner Schöpfung. Er wirkt mitten unter uns, da bin ich sicher. Er schöpft immer wieder neu. Und darum habe ich noch Hoffnung für uns. Für die Welt. Für die erschöpften Seelen ebenso wie für die erschöpfte Natur.

Vorhin haben wir’s gehört, in einem anderen Psalm, dem Psalm 23: 

Du schenkst mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang.

So hoffe ich darauf, dass Gott unsere Erschöpfung sieht

und uns neue Kraft gibt.

Uns neu schöpft.

Uns voll einschenkt.

Damit unsere Schale, unser Brunnen

wieder übersprudeln kann

von Liebe.

Amen.

 

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