Zirkus mit Tieren
Momentan gastiert in Schweinfurt der Zirkus Charles Knie. Wir waren mit unseren Kindern drin – und teilweise wusste ich wirklich nicht, ob ich lieber auf die leuchtenden Kinderaugen oder in die Manege schauen sollte. Einfach eine wunderschöne Vorstellung. Das hat von Anfang bis Ende Spaß gemacht und wird unserer Tochter sicher als schönster Geburtstag ihrer Kindheit in Erinnerung bleiben.
Über Twitter erreichte mich aber eine Anfrage von @textzicke, die ich durchaus sehr ernst nehme: „Ich finde, Zirkusse mit Tier-Beteiligung sind eine riesige Schweinerei. Boykottiere ich seit Jahren. :(“
Ich muss gestehen: Darüber hatte ich bei meinem ersten Zirkusbesuch seit meiner eigenen Kindheit nicht nachgedacht. Ich bin ins Grübeln gekommen. Werden Tiere hier nicht völlig artfremd gehalten und zu Dingen gezwungen, die sie niemals in freier Wildbahn tun würden? Müsste ich nicht diesen Zirkus auch boykottieren? Ich bin schließlich ein Mensch, der verantwortungsvoll mit seiner Umwelt umgehen möchte, auch wenn mir das an vielen anderen Stellen auch nicht gelingt.
Ich möchte heute keine Antworten geben auf diese Fragen. Sondern eher – die Fragen noch vertiefen. Denn leider können wir die Tiere nicht fragen, ob sie sich wohl fühlen.
Wen wir aber fragen können, das sind Menschen. Mal ganz ehrlich: Würden Sie sich „in freier Wildbahn“, als Urzeitmensch, wohl fühlen? Denn das ist die Umgebung, für die wir „geschaffen“ sind. Leben in kleinen Clans und in Höhlen, Tiere jagen, manchmal hungern. Ich glaube, das hat unseren Vorfahren nicht wirklich gefallen. Darum haben sie immer mehr Dinge erfunden, die uns das Leben leichter machten. Ackerbau. Tierzucht. Häuser. Autos. Telefon. Twitter. Und nun sitzen wir gemütlich in unseren selbst erbauten Käfigen und tun Dinge, die eigentlich nicht artgerecht sind: Mit den Fingern kleine quadratische Kästchen nach unten hauen: Schreiben mit einer Tastatur. In beleuchtete Fenster gucken, ob Fernsehen oder Computer. Oder am Fließband tagein, tagaus die immer gleiche Tätigkeit verrichten. Ist das artgerecht? Und doch tun wir es. Es ist unser Leben.
Wenn ich einen Tiger fragen könnte – was würde er wohl antworten? Würde er das anstrengende Leben in freier Wildbahn vorziehen oder doch die Bequemlichkeit im Zirkuswagen? Immer genug zu fressen, beste medizinische Versorgung. Und die Herausforderung, mit den Artisten zu arbeiten. Nicht einfach nur faul rumliegen.
Was ist besser? Ich weiß es nicht. Gerne würde ich mal mit einem Tiger oder einem der anderen Tiere darüber reden, doch die sind nicht sehr gesprächig. Aber der Bericht unserer Zeitung, wie zufrieden die Veterinäre mit der Tierhaltung in diesem Zirkus sind, hat mich ein wenig beruhigt. Und darum empfehle ich den Besuch allen Familien mit Kindern gerne weiter. Damit der Zirkus auch genug Geld hat, seine Tiere weiter so gut zu pflegen.
Comments
Natürlich können wir die
Natürlich können wir die Tiere nicht fragen, wie es ihnen geht. Aber es gibt durchaus verschiedene Verhaltensweisen, anhand derer man erkennen kann, ob es einem Tier noch gut geht oder nicht. Die rein äußerliche KOnstitution lasse ich jetzt mal außen vor. Wackelt ein Elefant zum Beispiel permanent mit dem Kopf, ist das ein Zeichen dafür, dass er einen Koller erlitten hat. Generell gilt: nimmt das Tier seine Umwelt wahr, reagiert es auf Reize oder nicht. Liegt es nur völlig teilnahmslos rum, kann das auch ein Indikator für Umwohlsein sein.
Ich sehe Zirkus-Tierhaltung auch sehr kritisch. Gerade die Populationen des von Ihnen erwähnten Tigers sind alles andere als super. Die freie Wildbahn als besserer Ort stellt sich für ihn nicht, da er dort für Hokus-Pokus (TCM) und seinen Pelz gewildert wird. In bewachten und auch medizinisch betreuten Reservaten kann er aber deutlich natürlicher leben als in einer glitzernden Zirkus-Welt.
Ich gestehe:
Auch mir ist z.B. der Cirque du Soleil lieber als einer mit Tieren. Allenfalls eine Pferdeshow finde ich noch OK. Und ich gehe auch nicht gerne in den Dortmunder Zoo, denn auch dort habe ich schon Tiere gesehen, die z.b. ständig mit dem Kopf hin- und herschaukelten, wie die von Sören Schewe beschriebenen Elefanten. Oder die stundenlang in ihren Käfigen auf- und ab liefen. Mir sind sie in freier Wildbahn auch lieber...
Der Vergleich hinkt aber
Der Vergleich hinkt aber gewaltig. Die Frage ist lautet: Was wäre dir lieber: Wie ein Urmensch im Wald leben oder im Knast sitzen?
Alles nicht so einfach...
Der eine Satz aus dem Zeitungsbericht hat mir doch sehr zu denken gegeben:
Die „geistige Forderung und Beschäftigung durch das Training“ sei für die Raubkatzen im Zirkus ein großer Vorteil gegenüber ihren Artgenossen im Zoo, wo dies nicht in diesem Umfang stattfindet.
Das wäre dann auch nicht mit stumpfsinnigem Gefängnis zu vergleichen.
Ich weiß es auch nicht.
Artgerechtigkeit des menschlichen Lebens
... schreibst Du. Ich glaube, dass das so nicht stimmt. Wir haben als Menschen eine Fähigkeit, die uns von den übrigen Tieren unterscheidet, vielleicht den entscheidenden qualitativen Unterschied ausmacht. Wir reflektieren über unsere Umwelt und passen sie unseren Bedürfnissen entsprechend an. Individuell und als Gesellschaften. Wir haben uns unsere Umwelt weitestgehend selbst geschaffen, so wie sie ist, mit Auto, Telefon und Twitter. Mit den kleinen grauen Kästchen auf die wir eintippen. Wir leben so, weil wir es so wollen. Und weil wir es können. Das erscheint mir weitestgehend artgerecht. Der Tier-Art Mensch entsprechend.
Damit ist ja nicht gesagt, ob es schön und gut ist so.
Auch für die Antilope ist es nicht schön und gut, wenn sie vom Löwen gefressen wird. Aber artgerecht ist es vor den Löwen auf der Flucht zu sein und dabei eventuell zu verlieren.
Die Verwechselung hast Du im selben Absatz bereits stehen. Artgerechtes Leben wird ständig verwechselt mit schönem, zufriedenem und gutem Leben. Das ist Moral und Ethik. Das Leben, gerade das artgerechte Leben kümmern sich aber nicht um Moral und Ethik.
Das tun nur wir und ein paar andere Säugetiere in gewissem Maße.