Gibt's hier eigentlich noch Christen außer mir?
Ganz Deutschland ist von Kirchengegnern besetzt. Ganz Deutschland? Nein: Ein kleines, völlig gestriges Häuflein Kirchentreuer lädt einen alten Mann namens Papst ein, sie zu unterstützen – gegen den Willen der überwältigenden Mehrheit der Deutschen.
Diesen Eindruck konnte man jedenfalls gewinnen, wenn man in den letzten Wochen die Medien und vor allem auch Twitter verfolgte. Fast bekam ich als evangelischer Pfarrer schon ein schlechtes Gewissen, dass ich andere mit meiner christlichen Botschaft belästige. Was einem da an Häme und Feindschaft entgegenschlug, war teilweise wirklich nur noch schwer zu ertragen. Nein, ich habe wirklich nichts gegen eine – durchaus auch heftige – Auseinandersetzung um Glaubensfragen und um Fragen der Ethik, der Kirchengeschichte und was weiß ich. Aber mit Menschen, die meinen Glauben lächerlich machen, ist es sehr schwer zu diskutieren.
Natürlich weiß ich, dass es genügend Kritikpunkte gibt. Manche betreffen nur oder zumindest in größerem Ausmaß die katholische Schwesterkirche, und doch bin ich da irgendwie als Christ auch mit drin. Ganz klar: Das, was manche „Kollegen“ Kindern angetan haben, ist in keiner Weise entschuldbar. Das Vertrauen vieler Menschen in alle kirchlichen Vertreter ist tief erschüttert, obwohl natürlich die weit überwiegende Mehrheit damit gar nichts zu tun hatte – bluten müssen wir alle dafür. Und dann noch andere Themen. Umgang mit Sexualität, Fragen nach der Rolle der Frau und und und. Ja, fast musste man sich schämen, Christ zu sein, in diesen letzten Wochen. Und der Papst – nicht willkommen im Parlament seines Heimatlandes. Christentum findet hier nur noch am Rande statt. Dieses Gefühl konnte man als Christ wirklich bekommen in den letzten Tagen.
Die Zahlen vom Donnerstag sprachen dann auf einmal eine ganz andere Sprache. Siebzigtausend Menschen bei der Messe im Olympiastadion – ausverkauft, so weit ich es mitbekommen habe. Die – durchaus wichtige – Gegendemonstration: Etwa 4000 laut ARD (Stand: Gestern 20:30). Das sind nicht wesentlich mehr, als wir im kleinen beschaulichen Schweinfurt bei der Nacht der Offenen Kirchen zusammenkriegen.
Heute dann fuhren wir wieder mit unserer Wagenkirche durch die Schweinfurter Innenstadt, verteilten Programmhefte für die Nacht der Offenen Kirchen – und wurden wesentlich mehr davon los, als wir erwartet hatten. Ja, die Leute kamen sogar zu uns und fragten danach! Natürlich gab's auch andere, die den Kontakt mit uns ablehnten – das darf ja auch so sein. Aber diese beiden Erlebnisse haben meine Wahrnehmung wieder ein wenig zurechtgerückt:
Deutschland ist nach wie vor ein zu großen Teilen christlich geprägtes Land. Bei allen Problemen, die wir haben: Die, die so laut gegen Kirche schreien, sie mögen vielleicht lauter sein – aber zahlenmäßig sind sie lange nicht so groß, wie es manchmal erscheinen mag.
Um das nochmal klarzustellen: Ich habe gar nichts gegen Atheisten und Kirchenkritiker. Ich rede und diskutiere gern mit ihnen. Solange diese Gespräche in gegenseitiger Toleranz geschehen. Dann freue ich mich sogar darauf. Und dass wir uns manchmal in unseren Zielen sogar ähneln, das habe ich schon vor über zwei Jahren in einem Blogeintrag über die Buskampagne geschrieben.
Comments
Radikalisierung im Netz
Vielen Dank für den schönen Beitrag, dem ich - als nun schon seit Jahren aktiver Wissenschaftsblogger (evangelischen Glaubens) - nur zustimmen kann. Das Internet hat hervorragende Möglichkeiten eröffnet, aber auch jenen Auftrieb gegeben, die zunehmend hasserfüllt gegen alle möglichen - und v.a. auch religiösen - Gruppen hetzen. Der Islam, die katholische Kirche und das Judentum werden am häufigsten angegriffen - aber auch evangelische Christen werden mit Hinweis auf wenige Fundamentalisten zunehmend scharf angegangen. Im Mai, Monate vor dem Attentat des via Internet radikalisierten Breivik - hatte ich zu dem Kontext schon mal veröffentlicht:
http://www.scilogs.de/chrono/blog/natur-des-glaubens/netzkulturen/2011-05-12/was-machen-wir-hier-was-macht-das-internet-mit-uns
Was kann man tun? Ich sehe keine andere Möglichkeit, als sich nicht vertreiben zu lassen, sondern den Dialog weiter zu führen. In meinem religionswissenschaftlichen Blog versuche ich Vorurteile gegenüber religiösen Gruppen insgesamt aufzuklären und habe die Papstrede in Wort und Video online gestellt:
http://www.scilogs.de/chrono/blog/natur-des-glaubens/vatikan/2011-09-22/die-rede-von-papst-benedikt-xvi.-im-deutschen-bundestag
Ob und wie weit sich im Internet Kulturen des Dialoges oder aber der Intoleranz durchsetzen liegt m.E. an uns allen.
Es liegt an uns allen
Antwort auf Radikalisierung im Netz von Michael Blume (nicht überprüft)
Genau so ist es: Wie tolerant das Netz ist und wie gut der Diskurs, das haben wir alle in der Hand. Je mehr User sachlich und fundiert berichten und kommentieren, desto weniger polemisch ist das Netz.
Hinzu kommt: Das Netz ist nicht die öffentliche und veröffentlichte Meinung. Sondern nur ein Ausschnitt davon. Und auf dem Papst herumhackende Twitterer sind ein noch viel kleinerer Teil davon. Nicht die, die am lautesten schreien, haben Recht.
Zur Grundfrage: Natürlich gibt es viele, viele Christen in Deutschland. Mit Betonung auf Christen, nicht Katholiken. Ich kann den Papst und das was er verkörpert ablehnen, deshalb trotzdem gläubiger Christ sein. In der heimischen Gemeinde, im privaten Umfeld oder ganz für mich allein. Ich muss das nicht an die große Kirchenglocke hängen.
Gibt's hier eigentlich noch Christen außer mir?
sicher! :)
was mich "stört" bei den Bemühungen um den Dialog; daß es für mich so aussieht als laufen wir
der Schwesterreligion hinterher. Protestanten könnten auch selbstbewuster auftreten.
LG Wolfgang
Falsches Ökumeneverständnis.
Antwort auf Gibt's hier eigentlich noch Christen außer mir? von Wolfgang Stichler (nicht überprüft)
Niemand soll irgendjemandem "hinterher laufen". Dieser Idee liegt m.E. ein falsches Verständnis von Ökumene zugrunde, wie es auch der Heilige Vater angesprochen hat. Glaube, Religion ist nicht verhandelbar!
Es geht in der Ökumene nicht darum, dass jeder seine Ideen einbringt und dann wird verhandelt, was wie übrig bleibt. "Die Katholiken dürfen den Papst behalten, dafür gilt ein protestantisches Abendmahlsverständnis". So läuft das nicht! Und aus katholischer Sicht kommt da ein ganz wesentlicher Punkt hinzu. Denn dieses credo in unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam bedeutet nichts anderes, als den Glauben in die Nachfolge des Papstes auf dem Stuhl Petri. Somit kann eine Einheit mit Rom nur dann erreicht werden, wenn das Primat des römischen Episkopates und die Autorität des Heiligen Stuhles anerkannt wird. Das wiederum impliziert die Anerkennung der Glaubenslehren, die ex cathedra Petri gegeben wurden.
Es mag also so aussehen, als würde die evangelische Kirche dem Katholizismus in der Ökumene "hinterher laufen". Ich würde das so aber nicht verstehen. Vielmehr stellt der katholische Glaube einige "Mindestanforderungen" für eine fruchtbare Gemeinschaft und die erfüllt der protestantismus in vielen Bereichen eben nicht. Das ist auch ein Grund, weshalb der Dialog mit der Orthodoxie so viel gewinnbringender und für viele Katholiken eigentlich naheliegender ist.
Im Übrigen ist es ein ebenso falsches Verständnis, wenn man Ökumene nur als Gespräch zwischen katholischer Kirche und EKD versteht. Die katholische Kirche ist eine echte Weltkirche und führt an vielen Stellen ökumenische Gespräche. Wie bspw. mit der russichen Orthodoxie unter dem Moskauer Patriarchen Kyrill I. Dort werden wirklich Fortschritte gemacht und mein größter Wunsch für die Ökumene wäre ein Treffen von Benedikt und Kyrill noch zu Lebzeiten der beiden. Das wäre ein echter Gewinn für alle!
Nichtsdestoweniger war der gemeinsame Segen von Präses Schneider und dem Heiligen Vater ein starkes Zeichen der ökumenischen Verbundenheit und dürfte jeden Zuschauer wahrhaft gefreut haben.
Als Protestant ist mir der
Als Protestant ist mir der Papst eigentlich relativ egal. Wenn überhaupt, dann stößt mir die dahinter stehende Person Ratzinger übel auf.
Als Freiburger jedoch sieht die Sache neuerdings anders aus. Noch nie (!!!) wurde ein derart übertriebener Aufwand beim Besuch eines Staatsoberhauptes betrieben. Freiburger dürfen dieses Wochenende kein Fahrrad fahren, werden hinsichtlich Fensterschmuck in Erdgeschosswohnungen reglementiert, haben Busparkplätze vor ihren Supermärkten und dürfen nicht ungehindert die Stadt verlassen bzw. betreten. Statt dessen versuchen gutgelaunte, mit Kreuzen bewaffnete Katholen die genervten Anwohner zu bekehren.
Sogar als ansonsten gelassener Zeitgenosse lässt man sich da recht schnell dazu hinreissen, von diesem Papstbesuch extrem genervt zu sein. Gleiche Reaktion würde bei mir übrigens ein entsprechender Aufwand für egal welchen Repräsentanten egal welcher weltlichen oder religiösen Gemeinschaft verursachen.
Auch wenn Sie sich das noch
Auch wenn Sie sich das noch so schön reden, eine zeitlang können Sie noch der Realität entfliehen, aber wie lange noch?
Ich erinnere an die Verhältnisse in der DDR. Denn ich sehe doch ein paar Parallelen.
Auch dort hat man lange Zeit das Aufbegehren des Volkes nach Freiheit heruntergespielt, genau nach dem gleichen Motto, sind ja nur eine handvoll Leute, es widerspiegelt ja nicht die Meinung des Volkes usw.
Aber aus ein paar kleinen Protesten wurden immer größere Demos. Ja, und heute gibt es keine DDR mehr.
Die größte kirchenkritische Demo die je in Deutschland stattfand, liegt nur wenige Tage zurück.