Wir machen uns groß, Gott macht sich klein
Predigt am Sonntag Reminiscere 2004/2010
Gochsheim, 6./7.3.2004; Christuskirche/Dittelbrunn, 28.2.2010
Text: Röm 5, 1-5 (6-11)
Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; 2 durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. 3 Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, 4 Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, 5 Hoffnung aber läßt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist. 6 Denn Christus ist schon zu der Zeit, als wir noch schwach waren, für uns Gottlose gestorben. 7 Nun stirbt kaum jemand um eines Gerechten willen; um des Guten willen wagt er vielleicht sein Leben. 8 Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. 9 Um wieviel mehr werden wir nun durch ihn bewahrt werden vor dem Zorn, nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht geworden sind! 10 Denn wenn wir mit Gott versöhnt worden sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren, um wieviel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, nachdem wir nun versöhnt sind. 11 Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unsern Herrn Jesus Christus, durch den wir jetzt die Versöhnung empfangen haben.
Liebe Gemeinde!
Kennen Sie das auch: Manche Menschen müssen sich immer in den Vordergrund spielen. Da hat ein Redner seinen Vortrag noch gar nicht richtig beendet, schon sind zwei Finger oben von Leuten, die nicht etwa Rückfragen stellen, sondern die das ganze Thema aus ihrer Sicht noch einmal aufrollen und beschreiben. In fast jeder Klasse gibt es einen Klassenkasper, der ständig die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Da gibt es den einen, der ein Projekt ganz alleine durchzieht und es auch gut macht, und es genießt, nachher im Mittelpunkt zu stehen. Die Zehntausenden von Jugendliche, die bei den verschiedensten Castings für „Deutschland sucht den Superstar“, Unser Star für Oslo, beim Supertalent und ähnlichen Veranstaltungen vorgesungen, gehofft und gezittert haben: Werde ich ein Superstar? Werden die Menschen mich anhimmeln, werde ich so erfolgreich sein, werde ich einer, eine von den ganz Großen werden?
Wir machen uns gerne groß, wir brauchen das. Ob in der Öffentlichkeit, was ja auch nicht jedermanns Sache ist, oder auch im ganz privaten Bereich: Die perfekte Hausfrau, die ihre Befriedigung daraus zieht, dass wirklich alles tiptop in Ordnung ist. Der tolle Kumpel, auf den immer Verlass ist und der immer für seine Kameraden da ist.
Das ist auch gut und wichtig für uns. Wir brauchen das für unser Selbstbewusstsein, für unser Selbstwertgefühl: Ich bin etwas wert, andere verlassen sich auf mich, ich bedeute anderen Menschen etwas. Jeder Mensch braucht, wenigstens ab und zu, so eine Bestätigung.
Leider gibt es auch Menschen, die dabei auf der Strecke bleiben. Nicht jeder kann immer der erste sein. Nicht jeder kann immer gewinnen. Manche stehen auf der Verliererseite, und oft haben sie nicht einmal selber Schuld daran. Es ist einfach irgend etwas schief gelaufen im Leben. Die Firma, für die man 30 Jahre gearbeitet hat, ist plötzlich pleite. [Ein Fehler im privaten Bereich zwingt einen zum Rückzug von der Spitze, so wie bei Margot Käßmann] Oder ein anderer war einfach noch besser, gewiefter, vielleicht auch einfach rücksichtsloser. Gerade bei Frauen geht es oft auch so: Seit die Kinder da sind und damit nicht mehr so viel Zeit füreinander, hat der Mann das Interesse verloren - und irgendwann ist er weg. Das bedeutet dann meistens Sozialhilfe, denn Arbeit ist keine da, schon gar nicht, wenn sie sich noch um die Kinder kümmern muss.
Auf der Strecke bleiben oft auch die, die auf dem 2. oder 3. Platz stehen - oder gar auf dem zehnten. Und was ist mit den vielen, die ihre Befriedigung ganz im Stillen suchen, die „emsigen Arbeiterinnen und Arbeiter“, die ihre Arbeit gut und im Hintergrund tun, auch wenn sie nicht sichtbar ist? Sie machen sich höchstens vor sich selber groß. Ihnen reicht es, dass sie sich selbst anerkennen können. Sie wollen nicht, dass ihre Arbeit in der Öffentlichkeit gelobt wird. Gerade hier in unserer Kirchengemeinde gibt es viele solche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für Gottes Lohn eine Menge leisten und unsere Gemeinde dadurch am Leben erhalten. Ob sie die Gemeindebriefe austragen oder, [wie nächste Woche wieder,] den Gemeindebrief selbst mitgestalten. Ob sie in leitender Funktion im Kirchenvorstand sind oder eine Jugendgruppe leiten. Ob sie Kirche, [Jugendhaus ]und Gemeindesaal in Schuss halten oder für eine reibungslose Verwaltung sorgen: Sie tun es nicht, weil es eine Pflicht wäre, sondern weil es sie mit Befriedigung erfüllt, etwas für die Gemeinde getan zu haben, einen Sinn zu haben, etwas Wichtiges zur Gemeinschaft beigetragen zu haben und beizutragen.
Wir brauchen das, diese Bestätigung. Wir machen uns gerne groß. Wir brauchen es zum Leben, dieses Gefühl: Ohne mich würde es nicht laufen, jedenfalls nicht so gut. Ich bin etwas wert. Ich bin groß.
Ganz anders ist es mit Gott: Er macht es genau anders herum. Er macht sich klein für uns. In Jesus wird er ein Mensch wie wir. Und er wird keiner von den Superstars der damaligen Zeit, sondern ein kleiner, einfacher Mensch, Sohn eines Zimmermanns aus einer unbedeutenden Stadt irgendwo im Norden Israels. Und sein Leben ist nicht das eines Menschen, der sich groß macht, sondern ein Leben, das ihn immer kleiner macht. Auf den ersten Blick hat er alles andere als Erfolg: Als Verbrecher stirbt er am Kreuz, erfolglos, seine Freunde haben ihn verlassen und verraten. Er, der ohne Sünde ist, der eigentlich der Größte von allen wäre – er macht sich zum Kleinsten von allen. Für uns Menschen, die wir so gerne groß wären und doch immer wieder scheitern. Wie Paulus es schreibt in unserem Predigttext:
10 Denn wenn wir mit Gott versöhnt worden sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren, um wieviel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, nachdem wir nun versöhnt sind.
Jesus wird einer von uns. Der Kleinste von allen. Er stirbt für uns, damit wir Frieden haben können mit Gott. Frieden haben mit Gott – das heißt: Vor Gott muss ich mich nicht abmühen. Vor Gott muss ich nicht versuchen, ein Größerer zu sein als ich bin. Vor Gott kann ich treten, ganz egal, ob ich nun ein begnadeter Redner bin, der geborene Anführer, oder ein ganz armer, erfolgloser Schlucker, der nicht weiß, wie er den nächsten Tag überstehen soll. Vor Gott muss ich mich nicht erst sinnvoll machen. Vor Gott habe ich einen Sinn. Und dieser Sinn, der heißt: Gott hat mich lieb. ER hat mich geschaffen. Er ist für mich gestorben, damit ich leben kann. Er hat sich klein gemacht, um mich groß zu machen. Ich kann gar nichts dazu tun. Es ist ein Geschenk, das ich nur annehmen kann.
Und trotzdem wird dieses Geschenk, wenn ich es ernst nehme, nicht ohne Antwort bleiben. Gottes Sohn ist für mich gestorben, noch bevor ich überhaupt geboren wurde, aus Liebe zu mir – ein solches Geschenk kann und muss mein Leben verändern. Gott liebt mich – das zeigt mir den Weg zu allen Menschen, die Gott ebenso liebt, und die meine Hilfe nötig haben. Gott liebt mich – das zeigt mir den Weg zu allen Menschen, die von seiner Liebe wissen.
Als Gemeinde können und sollen wir Gottes Liebe weitertragen – nicht nur weiter sagen, sondern auch etwas tun. Viel wird heute gejammert, dass kein Geld mehr da ist, auch nicht in der Kirche - und es stimmt ja auch. Aber wir dürfen uns den Blick nicht dafür versperren lassen: Gott hat sich klein gemacht für uns, damit wir groß werden. Er ist gestorben, damit wir leben können. Diese Botschaft lasst uns weitergeben, voller Zuversicht, in Wort und in Tat.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alles unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.