Ansprache beim MehrWegGottesdienst: Ich bin so froh, dass es mich gibt!
Heute vor einer Woche bekam ich so ziemlich zum allerersten Mal eine Rückmeldung auf eines unserer Plakate. Eine Mail. Mit diesem Inhalt:
„Eine kleine Dicke hätten Sie sich auch nicht getraut, aufs Plakat zu bringen.
Auch hier: Mehr Schein als Sein.“
Tja. Sieht fast so aus, nicht wahr? So ne lange Dünne kann ja froh sein, dass es sie gibt. Da ist das leicht, sich über das eigene Leben zu freuen. Kann am besten gleich bei Heidi Klum anfangen. Aber was ist mit denen, die nicht der Norm entsprechen, die die Werbung uns vorgibt? Also, eigentlich mit uns allen? Die eine fühlt sich zu dick. Der andere findet seine Nase hässlich. Die dritte findet ihre Beine krumm. Der nächste ist traurig, weil er‘s nicht aufs Gymnasium geschafft hat. Und wie viele von uns träumen davon, mal mit einer Sache groß rauszukommen – und wir bleiben doch fast immer Mittelmaß. Und aufs Plakat kommen wir wahrscheinlich auch nicht, sind wir nicht schön genug dafür.
Ja, ehrlich, ich träume ja auch manchmal davon. Ich finde ja auch, dass unser Gottesdienst hier mindestens tausend Teilnehmer verdient hätte. Kommen aber nicht. Bin ich vielleicht auch nur so n kleiner Dicker, der durchs Plakat hüpft und da völlig fehl am Platz ist. Ist vielleicht doch nicht so gut, dass es mich gibt – und unser ganzes Team, das die Gottesdienste vorbereitet?
Merken Sie selber: Das ist Quatsch. Ja, manchmal fragen wir uns im Team tatsächlich, warum die Zahlen nicht größer werden, denn wir feiern hier einen wunderschönen Gottesdienst, der uns sehr am Herzen liegt. Deshalb haben wir auch unseren alten Fragebogen mal wieder reaktiviert und hoffen, dass mal nicht nur „boah, alles ist so super bei euch“ draufsteht.
Und dann lesen wir, was auf euren Gebetszetteln steht. Dann hören wir, was ihr uns bei der Segnung erzählt. Lesen, was ihr an den einzelnen Stationen mit uns teilt. Und wissen: Es liegt ein großer Segen auf diesem Gottesdienst. Und es kommt nicht drauf an, wie wir sind und was wir sind und wie viele wir sind, sondern, ja was eigentlich?
Vielleicht das: Dass wir lieben, was wir sind und was wir tun. „I love my life“ - das haben wir vorhin von Robbie Williams gehört. „Ich liebe mein Leben.“ Und das bekannte Doppelgebot der Liebe, wie es meistens genannt wird, das ja eigentlich ein Dreifachgebot ist. Wir haben es vorhin gehört, was Jesus sagt: Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. Wie dich selbst. Jesus geht ganz selbstverständlich davon aus, dass wir uns selbst gut finden. Jesus geht ganz selbstverständlich davon aus, dass wir uns selbst lieben.
„Ich bin so froh, dass es mich gibt“, haben wir diesen Gottesdienst genannt. Und wissen doch genau: Es gibt Leute, die sind eben nicht froh, dass es sie gibt. Menschen, deren Leben schwer ist. Die Angst haben vor der Zukunft, die schwer krank sind, Menschen, die depressiv sind und ohne Hilfe gar nicht mehr aus ihrem Loch herauskommen. Manchmal gibt es Momente, Tage, ja sogar Jahre, da können wir diesen Satz nicht so fröhlich sagen: „Ich bin so froh, dass es mich gibt.“ Da heißt er vielleicht eher „mein Leben ist eine Last für mich und andere.“
Der Song von Katie Perry, den wir am Ende hören werden, nimmt dieses Gefühl auf:
Fühlst du dich manchmal wie eine Plastiktüte, durch den Wind getrieben, möchtest du wieder von vorn anfangen?
Fühlst du dich manchmal dünn wie Papier, wie ein Kartenhaus, nur einen Windstoß vom Einstürzen entfernt?
Fühlst du dich manchmal als wärst du schon tief vergraben?
Du schreist von unter der Erde, aber niemand scheint etwas zu hören.
Vielleicht ist ihre Lösung ein bisschen zu einfach: „Du musst doch nur das Licht anknipsen, dann bist du ein Feuerwerk“.
Vielleicht müssen wir auch gar nicht alle ein Feuerwerk sein. Vielleicht müssen wir gar nicht alle riesengroß rauskommen. Vielleicht reicht es einfach, da zu sein – und das beste aus dem zu machen, was wir eben haben.
Manchmal wird dann sogar aus etwas, das auf den ersten Blick schlecht aussieht, etwas Gutes. Gestern habe ich ein Interview mit Greta Thunberg gelesen, der schwedischen Initiatorin der Fridays for Future. Eine schwere Depression hatte sie mit zehn Jahren. Außerdem wurde das Asperger-Syndrom bei ihr diagnostiziert, eine besondere Form des Autismus. „Mein ganzen Leben war ich das unsichtbare Mädchen“, sagt sie. „Ach, die Arme!“ könnte man jetzt sagen. Doch sie – sie sagt etwas anderes: Für sie ist Asperger eine Chance. Es hilft ihr, genau hinzusehen. Das Wesentliche zu sehen und sich nicht beirren zu lassen. So ist sie innerhalb von wenigen Monaten zur Symbolfigur vieler Jugendlichen geworden. Mittlerweile gehen auf der ganzen Welt Zehntausende Jugendliche am Freitag auf die Straße, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Und das alles, weil eine junge Frau sich nicht einfach in der Ecke verkrochen hat und unsichtbar geblieben ist, sondern ihren Weg gefunden hat.
Was ist mein Weg? Was ist dein Weg? Wer hilft dir auf, wenn du dich nicht selbst lieben kannst? Wer macht dich und mich sichtbar? Jetzt einfach „Gott“ zu sagen, kommt irgendwie ziemlich platt, aber es ist halt einfach so. Das ist das, was wir als Christen glauben: Dass Gott uns liebt. Auch dann, wenn wir uns wie eine Plastiktüte im Wind fühlen oder wie ein Kartenhaus vor dem Einstürzen. Und: Gott glaubt an das Feuerwerk in uns. Nein – er glaubt nicht daran, er weiß, dass es da ist. Er hat es uns ja selber eingepflanzt. Und dieses Feuerwerk, das heißt einfach: Liebe.
Und diese Liebe kommt von Gott, denn Gott sagt zu uns: Ich bin so froh, dass du da bist.
Amen.