Predigt: Brauchen wir irgendwas aus der Kirche?
Text: Lk 10, 38-42
Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. 39 Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. 40 Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester läßt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! 41 Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. 42 Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.
Liebe Gemeinde!
Diese Woche ging auf Facebook eine wirklich schöne Karikatur rum. Ein Mann steht in einer Kirche und telefoniert: „Schatz, ich bin in der Kirche. Brauchen wir irgendwas aus der Kirche?“
Tja. Was ist das eigentlich mit dieser Kirche? Was gibt‘s da – im Gegensatz zum nächsten Supermarkt? Weshalb gehen Sie in die Kirche? Was ist Ihr persönlicher „Einkaufszettel“ für heute? Was erwarten, was erhoffen Sie sich hier? Und – bekommen Sie es auch? Bekommen Sie‘s in der Qualität, die Sie sich wünschen? Oder müssen Sie noch in eine andere Kirche, auf den Markt oder sonstwo hin, bis Sie alles beinander haben, was Sie so zum Leben brauchen?
Brauchen wir irgendwas aus der Kirche? Natürlich ist das nicht so einfach wie im Supermarkt. Oder doch? Was kriegen wir hier? Vergebung. Segen. Frieden. Gemeinschaft, wenn‘s gut läuft. Ein fröhliches Herz, hoffe ich. Die Botschaft: Gott liebt dich.
Brauchen wir irgendwas aus der Kirche? Was ist denn wirklich wichtig hier? Was wird nachher in Ihrer Einkaufstüte zu finden sein?
Die Bibel erzählt von einem Menschen, der für sich ganz klar entschieden hat, was ihm bzw. ihr gerade besonders wichtig ist. Wir haben es gerade als Evangelium gehört: Die Geschichte von Maria und Martha. Eine Geschichte, die mich immer wieder gestört hat, schon als Jugendlicher. Denn ich kann die Martha so gut verstehen. Wenn ich Gäste habe, will ich, dass es ihnen gut geht. Es soll was Gutes zu essen geben. Genug Wein auf dem Tisch stehen und andere Getränke. Und was eben so alles anfällt. Als ich noch Gemeindepfarrer war, habe ich‘s bei Geburtstagsbesuchen oft von der anderen Seite erlebt: Da war das Geburtstagskind dann manchmal mehr in der Küche als bei mir am Tisch, musste ich mich eben mit Maria unterhalten, also mit denen, die noch am Tisch herumsaßen.
Ja, das ist schwierig. Beides ist doch wichtig. Dass es den Gästen gut geht – und dass man Zeit hat zu reden oder im Fall von Maria einfach nur zuzuhören.
Maria hat entschieden: Jetzt ist die Zeit zuzuhören. Jesus ist da! Dem macht das nichts aus, wenn das Essen später kommt. Jetzt ist einfach Zeit, auf ihn zu hören. Hier, jetzt, geschieht das Wesentliche. Der Sohn Gottes ist da. Alles andere kann warten.
Das Wesentliche, der Kern, das ist erst einmal: Das Nichtstun. Das Empfangen. Das Hören auf Gott. Völlig konzentriert sein auf diese eine Sache.
Immer wieder beklagen wir, dass unsere Kirchen nicht mehr voll werden, dass unser Glaube so viele nicht mehr erreicht. Wir erleben, wie die Leute sich fragen: „Brauchen wir was aus der Kirche?“ und gleich antworten: Nein.
Ich glaube, ein Grund dafür – neben anderen – ist genau der: Wir haben verlernt. Maria zu sein. Wir sind zu viel Martha. Ja, ich auch, da nehme ich mich gar nicht aus. Gerade bei meiner Citykirchen-Stelle steht viel Action im Vordergrund, sonst nimmt meine Angebote ja auch gar niemand wahr. Unser erstes Geschäft aber ist das Hören auf Gottes Wort. Die Stille. Das Gebet. Dafür brauchen wir eine unbedingte Ernsthaftigkeit, die alles andere erst einmal beiseiteschiebt. An erster Stelle steht das Hören auf Gott.
Oft fehlt es uns an Überzeugungskraft. Vielleicht, weil wir unsere Quellen nicht ernst genug nehmen?
Ich musste an eine junge Frau denken, die gar nicht aus dem christlichen Kontext kommt. Aber sie vertritt ihre Ziele, das, was ihr wichtig ist, mit größter Ernsthaftigkeit: Greta Thunberg, die schwedische Initiatorin der weltweiten Schulstreiks für das Klima. Sie ist wie Maria – nur eben nicht für Jesus, sondern fürs Klima. Sie widmet sich diesem Thema mit allem, was sie hat. Mit all ihrer Kraft. Mit ihren Gedanken, mit dem, was sie tut – und erreicht die Menschen allein dadurch, dass sie in aller Klarheit und Deutlichkeit sagt, was für sie wichtig ist. Ja, an ihr scheiden sich die Geister. Es gibt auch Leute, die sie komplett ablehnen und sogar versuchen, sie lächerlich zu machen – aber ich glaube, es gibt kaum jemanden, der nicht eine Meinung über sie hat.
Sind wir so ernsthaft, so konsequent, so focussiert dabei, bei dem, was unseren Glauben ausmacht – beim Hören auf Gott, beim Beten?
Mir geht es viel zu oft so, dass halt der ganz normale Wahnsinn am Schreibtisch wieder über mich hereinbricht. Was da alles noch zu erledigen ist. Und schon ist gar keine Ruhe mehr, keine Konzentration. Schon bin ich Martha, wo ich doch erst mal Maria sein müsste.
Brauchen wir was aus der Kirche? Manchmal bin ich für eine Weile in St. Johannis – geschäftig, weil ich irgendwas vorbereiten muss – und sehe, was die Leute so machen, die da reinkommen. Manche laufen rum, schauen sich die Kunstwerke an. Aber viele setzen sich einfach nur in die Bank. Kommen zur Ruhe. Bleiben eine Weile sitzen. Und dann gehen sie wieder. Haben wohl was mitgenommen, was sie brauchten: Ruhe. Zeit für sich, Zeit für Gott, Zeit fürs Gebet.
Brauchen wir was aus der Kirche? Ja: Die Ruhe Marias. Die Ernsthaftigkeit. Diese Unbedingtheit des Hörens auf Gott.
Und dann, als zweites, kommt natürlich auch das Tun. Die Martha. Das ist ja nicht unwichtig, ganz im Gegenteil, aber es steht eben erst an zweiter Stelle. Schließlich sollen wir nicht nur Gott lieben, sondern unseren Nächsten wie uns selbst, sagt Jesus. Aber in dem, was wir dann tun, liegt, so hoffe ich, eine andere Kraft. Wenn wir wissen: Wir sind geliebt, wir sind nicht allein, wir haben eine gemeinsame Basis. Das Hören verändert das Tun. Dann, wenn wir in aller Ernsthaftigkeit auf Gott gehört haben, dann können wir losziehen. Dann können wir Alte, Kranke und Obdachlose pflegen. Dann können wir zur Vesperkirche einladen. Dann können wir für die Erhaltung der Schöpfung eintreten, fürs Klima oder für den Frieden in der Welt. Dann können wir schöne, ansprechende Gottesdienste und Veranstaltungen planen. Weil wir eine Basis haben: Das Gebet. Das Hören auf Gott.
Brauchen wir was aus der Kirche? Ja, unbedingt. Diese Basis. Die Ruhe. Das Hören auf Gott. Und dann den Segen Gottes, der uns sozusagen wieder rausschubst in die Welt. Der uns dazu auffordert und befähigt, das, was wir da in der Kirche gefunden haben, weiterzugeben. Denn dafür sind wir da. Als Boten Gottes. Für eine liebevollere, fröhlichere, hoffnungsvollere Welt.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.