Predigt: Gottes Mission: Aufbruch!

5. Sonntag nach Trinitatis, 1.7.2018, Gustav-Adolf-Kirche Schweinfurt

Liebe Gemeinde!

Waren Sie vor 20 Jahren auch schon hier in dieser Gemeinde? Wenn ja: Erinnern Sie sich, wie damals der Gottesdienstbesuch so war? Also, die Konfis sind bei der Frage jetzt erst mal außen vor, das ist klar.

Ich wusste damals grade mal, dass es irgendwo so eine Stadt gibt, die Schweinfurt heißt. Aber ich könnte wetten: Damals waren mindestens dreimal so viele Leute Sonntag für Sonntag im Gottesdienst. Und das ist ja nichts, was nur die Gustav-Adolf-Gemeinde beträfe. Das ist überall so. Das ist eine Entwicklung, der wir im Augenblick nichts entgegensetzen können. Kirche schrumpft. Die Gesellschaft ändert sich. Zu den neuen Formen passen unsere alten, überkommenen Strukturen nicht mehr. Menschen wollen sich nicht mehr so binden, selbst wenn sie vielleicht noch Sympathie für die Kirche empfinden. Menschen wollen ihr Kind taufen lassen, obwohl sie selbst nicht Mitglied der Kirche sind – erst gestern hatte ich wieder so eine Taufe. Und ich muss sagen: Mit diesen Eltern hatte ich weitaus tiefere Gespräche über die Bedeutung von Taufe und Glauben als mit manchen, die halt Kirchenmitglieder waren und sonst sich keine Gedanken gemacht hatten.

Aber es bleibt doch die Frage: Wie können wir denn weitermachen? Wollen wir immer weiter, immer weiter machen, bis irgendwann halt gar keiner mehr da ist? Oder müssen wir halt immer mehr und immer tollere Aktionen machen, damit die Leute auf uns aufmerksam werden? Auf Dauer geht das auch nicht, auf Dauer laugt uns das doch auch aus, und es kommen auch nicht so viele.

In der nächsten Gemeindebrief-Ausgabe steht ein Artikel von mir über die anglikanische Kirche und ihre Neuanfänge, die „Fresh Expressions of Church“. Ist das unser Weg? Müssen wir neue Gemeinschaften gründen, um unsere Kirche zu erhalten?

Nein, das glaube ich nicht. Aber vielleicht müssen wir unseren Blick weiten. Nicht vielleicht, sondern sicher müssen wir unseren Blick weg bekommen von den Austrittszahlen, den Gottesdienstbesuchzahlen und alldem. Manchmal kommt‘s mir vor wie das Kaninchen vor der Schlange: Wir sitzen da, völlig fasziniert davon, wie das Ende immer näher auf uns zukommt.

Die anglikanische Kirche hat‘s anders gemacht. Und sie hat dabei einen Gedanken aus den 50ern aufgenommen, der damals die Missionstheologie völlig umgekrempelt hat. Den Gedanken von der „missio dei“. Auf Deutsch: Die Mission Gottes. Das soll heißen: Nicht die Kirche ist es, die Mission betreibt. Sondern Gott ist es, der durch uns, durch seine Kirche wirken will. Und weil die Gesellschaft, in die hinein Gott seine Mission betreibt, sich immer wieder ändert, ist es auch Aufgabe der Kirche, ihre Gestalt den neuen Anforderungen anzupassen. „Mission shaped church“ nennt das die anglikanische Kirche. „Kirche, die von der Mission her geformt wird“. In Großbritannien kann das schon mal heißen, dass eine Gemeinde ihr Kirchengebäude verkauft und sich in Zukunft in einem Café trifft.

Aber das bleibt auch da die Ausnahme. Trotzdem glaube ich, dass die Frage berechtigt ist: Welche Form von Kirche braucht Gottes Mission? Passen wir mit unseren Strukturen da noch hinein? Ist es richtig, dass wir Ortskirchengemeinden haben, wenn die Menschen gar keine Ahnung mehr haben, zu welcher Gemeinde sie eigentlich gehören? Ich will gar nicht sagen: Wir müssen die Gemeinden auflösen. Aber vielleicht brauchen wir durchlässigere Formen als bisher. Nur: Wie schauen die aus?

Wenn wir als Kirche nicht nur stillstehen wollen, dann werden wir vieles verändern müssen. Wir werden darüber nachdenken müssen, was gut und erhaltenswert ist. Wir werden uns von manchem verabschieden müssen, was uns lieb und teuer geworden ist. Das wird schmerzhaft sein, das wird traurig sein.

Das macht Angst, auch mir, ist doch klar. Veränderung ist immer schwer. Veränderung bringt immer Unsicherheit und Unklarheit und auch Trauer und manchmal Wut mit sich. Sind wir bereit dafür?

Unser Predigttext von heute erzählt auch von einem, der vor einer riesengroßen Veränderung stand. Vielleicht war er auch, ähnlich wie wir als Kirche, an einem Punkt angekommen, an dem es so wie immer nicht mehr weiterging – das weiß ich nicht, es steht nicht in der Bibel. Die Rede ist von Abram, der erst später in der Erzählung zum Abraham wurde. Das ist unser heutiger Predigttext:

1. Mose 12, 1-4a
Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. 2 Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. 3 Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.
4 Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm.

Geh. Brich auf! Zieh los, ins Unbekannte! Ins Gefährliche, in die Veränderung. Geh aus deinem Vaterland in ein

Land, das ich dir zeigen werde. Nicht mal das Ziel ist Abram bekannt. Er soll einfach losziehen. Gott mutet es dem Abram einfach zu. Er sagt: Geh! Geh aus deinem Vaterland in ein Land, das ich dir zeigen werde. Für Zweifel ist da erst einmal kein Platz. Jedenfalls berichtet die Bibel davon nicht. Da steht einfach nur: Da zog Abram aus, wie der HERR ihm gesagt hatte. Wow. Was für eine Zumutung von Gott – und was für ein Vertrauen von Abram, dass Gott es schon gut mit ihm meinen wird.

Aber dazwischen steht noch etwas sehr, sehr wichtiges. Etwas, das diese ganze Zumutung des Abschieds und Neubeginns in einem anderen Licht erscheinen lässt. Da steht nämlich dieser Satz Gottes: Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein. 

Vielleicht kann das unsere Richtschnur sein als Teilnehmende an der missio dei, der Mission Gottes: Gott spricht: Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein. Gott verspricht uns: Wenn wir aufbrechen, zu neuen Ufern, wie auch immer die aussehen: Er will mit seinem Segen dabei sein. Er will uns begleiten. Er will uns Rückenwind geben, uns stärken, uns auffangen, wenn mal etwas nicht so klappt, wie wir uns das vorstellen.

Für uns als Kirche in dieser Umbruchsituation ist der andere Teil des Satzes aber mindestens genau so wichtig: Ihr sollt ein Segen sein! Das ist nicht nur eine Verheißung Gottes, eine wunderschöne sogar. Es ist auch ein Auftrag an uns. Ihr sollt ein Segen sein. Ihr, die ihr heute hier sitzt. Ihr seid ein Teil von Gottes Mission in die Welt hinein. Und ihr sollt ein Segen sein. Wo könnt ihr, ihr persönlich aber auch ihr als Gemeinde, ein Segen sein für diese Stadt, für die Menschen, die in ihr leben? Das ist übrigens eine der wichtigsten Fragen in den Fresh Expressions: Was können wir als Kirche, als Gemeinde, für unsere Stadt, für unseren Stadtteil bewirken? Wie können wir relevant werden für die Menschen? Was haben die davon, dass wir da sind?

Das ist eine ganz andere Frage als: „Wie kriegen wir die Leute zurück in die Kirche, damit wir die Kirche nicht schließen müssen?“ Es ist eine Frage voller Hoffnung und Zuversicht. Es ist auch eine sehr selbstlose Frage, denn es geht nicht darum, unsere Kirche, unsere Gemeinde zu erhalten. Sondern erst einmal darum, selbstlos für die Menschen da zu sein. 

Ihr sollt ein Segen sein. Die nächsten Jahre versprechen spannend zu werden. Wir werden neue Formen von Kirche suchen und, so Gott will, auch finden. Wir werden, so hoffe ich, zum Segen werden für diese Stadt. Und wenn uns das mit Gottes Hilfe gelingt, dann wird unsere Gemeinschaft vielleicht sogar wieder wachsen. Aber erst einmal braucht es Mut. Mut zum Aufbruch, Mut zur Veränderung. Mut, Segen zu sein.

Und diese Veränderung: Sie beginnt schon bei uns einzelnen. Wäre Abram nicht aufgebrochen in das gelobte Land, wäre er nicht zum Stammvater des Volks Israel geworden. Hätte er sich nicht als Werkzeug der Mission Gottes benutzen lassen, hätte es die ganze Geschichte Gottes mit seinem Volk nicht geben können.

Was ist mit Ihnen? Welche Aufbrüche stehen bei Ihnen an? In Ihrem persönlichen Leben, im Beruf, in der Familie oder auch hier, in der Gemeinde? Gott ist kein Gott des Stillstands. Gott ist ein Gott des Werdens. Des Aufbruchs. Ein Gott des Lebens. Und er sagt zu uns und heute ganz besonders zu Ihnen: Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein.

Also auf geht‘s. Mit neuem Mut hinein in dieses Abenteuer: Leben.

Amen.