Predigt: Liebe ist anstrengend!

Text: Mt 5, 38-48

Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2. Mose 21,24): "Auge um Auge, Zahn um Zahn." 39 Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. 40 Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. 41 Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei. 42 Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will.
43 Ihr habt gehört, dass gesagt ist (3. Mose 19,18): "Du sollst deinen Nächsten lieben" und deinen Feind hassen. 44 Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, 45 damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. 46 Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? 47 Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? 48 Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.

Liebe Gemeinde!

Ich sag's Ihnen gleich: Die Predigt heute wird unbequem. Denn: Die Sache mit dem Glauben ist schon irgendwie vertrackt. Manchmal ist das wirklich einfach schön, an Jesus zu glauben. Diese Botschaft: „Du bist geliebt, so wie du bist!“ - ist das nicht etwas ganz und gar Wunderbares? Das ist etwas, was uns durchs Leben tragen kann. Was das ganze Leben bestimmen kann. Liebe empfangen, Liebe weitergeben. Sich geborgen fühlen in Gottes Liebe. Gemeinsam mit Gleichgesinnten feiern, gestärkt und fröhlich aus dem Gottesdienst hinausgehen in die Woche. Schön ist das. Schön kann das sein.

Wenn da nicht dieser Jesus wäre. Denn was der uns heute wieder auftischt, das ist das genaue Gegenteil von diesem Wohlfühlchristentum. Was der schon wieder sagt hier! Im Grunde sagt er uns: Dieses Wohlfühlchristentum, das kann doch jeder! Das ist doch nichts Besonderes! Seinen Bruder lieben – das machen auch die Heiden. Jesus nachfolgen dagegen: Das fängt da an, wo's wehtut. Das fängt da an, wo es auf den ersten Blick unvernünftig aussieht, ja sogar, als würde ich mich ausnutzen lassen.

Wenn dir einer auf deine rechte Backe schlägt, dann biete ihm die andere auch dar. Liebt eure Feinde, bittet für die, die euch verfolgen.

Das, was Jesus da in wenigen Worten skizziert: Das ist eine ganz andere Art des menschlichen Zusammenlebens. Ein von Liebe geprägtes, ja. Aber Liebe ist mehr als Wohlfühlen. Liebe kann auch weh tun, ich bin mir sicher, das wissen Sie alle. Jesus wendet sich radikal liebevoll allen Menschen zu. Allen. Auch denen, die ihm Böses wollen. Auch denen, die ihn über den Tisch ziehen wollen, die ihn ausnutzen wollen. Sogar denen, die seinen Tod fordern.

Wenn dir einer auf deine rechte Backe schlägt, dann biete ihm die andere auch dar. Liebt eure Feinde, bittet für die, die euch verfolgen.

Die ersten Christen sind oft ausgelacht worden dafür, dass sie so einen schwachen Gott anbeten. Einen Gott, der am Kreuz gestorben ist. Einen Gott, der offenbar völlig machtlos den Menschen ausgeliefert war. Nur: Er hatte sich selber ausgeliefert, aus freien Stücken, um der Liebe willen.

Wenn dir einer auf deine rechte Backe schlägt, dann biete ihm die andere auch dar. Liebt eure Feinde, bittet für die, die euch verfolgen.

Was heißt das für uns, heute, in unserer Situation? 

Was heißt: Liebt eure Feinde? An wen denken Sie dabei? Geben Sie's zu, Sie haben gleich jemanden im Kopf. Über wen ärgern Sie sich maßlos, wer bereitet Ihnen schlaflose Nächte, wer hat Sie übers Ohr gehauen? Vielleicht ärgern Sie sich sogar über sich selbst, dass Ihnen diese Person jetzt gerade eingefallen ist, weil Sie ahnen, was Jesus will, und es ist halt nicht so einfach. 

Jesus sagt: Da, genau da beginnt die Nachfolge. Da tut dein Glaube weh. Denn ich, Jesus, ich will, dass du diesem Menschen verzeihst. Ich will, dass du immer wieder neu auf ihn zugehst. Ich will, dass du deinen Stolz herunterschluckst. Ich will, dass du ohne Angst auf ihn immer wieder neu zugehst. Du brauchst ja auch keine Angst zu haben, denn ich bin bei dir.

„So kann man doch nicht leben“ - so lachen viele. „Man muss sich doch noch wehren können!“ Und: „Wie du mir, so ich dir!“ Ja, genau, so ist unser Leben strukturiert. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Jesus stellt dem ein anderes Leben entgegen. Ein nahezu unmögliches und doch das beste, das es gibt: Ein radikal liebevolles, angstfreies, den Menschen zugewandtes Leben.

Wenn dir einer auf deine rechte Backe schlägt, dann biete ihm die andere auch dar. Liebt eure Feinde, bittet für die, die euch verfolgen.

Das heißt überhaupt nicht, dass ich jetzt alles gutheißen muss, was die Leute um mich herum sagen und tun, ganz im Gegenteil. Auch Jesus hat viel gestritten und diskutiert. Hat seine Meinung klar und deutlich formuliert. Aber immer hat er die Menschen um ihn herum als Partner respektiert, die er liebevoll achtete, selbst wenn sie in der Sache gestritten haben. Selbst dem Soldaten, der ihn festnahm, heilte er noch seine Wunden.

In diesen Wochen sind die Nachrichten voll von Meldungen über die vielen Flüchtlinge, die zu uns kommen, aber auch voll von Gewalttaten, brennenden Flüchtlingsheimen und Pegida-Demonstrationen. 

Überall sehe ich das Gegenteil von dem, was Jesus von uns wollte. Es ist, als hätte Jesu Botschaft in zweitausend Jahren gar nichts bewirkt. Überall sehe ich Menschen voller Angst.

Die einen haben Angst, dass unsere Welt überfremdet wird, weil solche Massen von Fremden und zum Teil Andersgläubigen zu uns kommen. Sie reagieren auf ihre Angst mit Gewalt, weil sie sich oft nicht anders zu helfen wissen. 

Die anderen kommen angsterfüllt zu uns, weil sie in ihrer Heimat nicht mehr leben können, weil ihre Häuser zerstört sind, sie keine Arbeit und keine Nahrung mehr haben, keine Perspektive für ihr Leben. Sie treibt die nackte Angst ums Überleben.

Und die dritten, die haben immer mehr Angst vor denen, die da nun ständig demonstrieren gegen eine gefühlte Überfremdung unserer Gesellschaft. Sie spüren oder befürchten: Da ist etwas ähnliches im Gange wie damals, 1933, als schon mal Häuser brannten, damals die der Juden.

Und jetzt die zweite Zumutung. Es ist ein Satz, der nicht in unserem heutigen Predigttext steht, aber so oft in der Bibel wie wohl kein anderer: Fürchte dich nicht! Fürchte dich nicht. Ich, Gott, bin bei dir alle Tage bis an der Welt Ende. Was für eine Zumutung! Was für eine Verheißung! Einfach nur: fürchte dich nicht.

Das gibt allem eine neue Perspektive. Eine liebevolle, angstfreie Perspektive.

Ja, es sind viele, die zu uns kommen. Aber wir sind ein großes und reiches Land. Im Moment sind's etwa ein bis zwei Menschen auf 100 Einwohner. Das ist nicht zu viel verlangt, das können wir schaffen. Und wir können sogar im Dialog mit diesen Menschen unsere eigenen Überzeugungen und Einstellungen schärfen, erst einmal wieder neu darüber nachdenken, was unseren Glauben ausmacht. Wenn wir furchtlos, ohne Angst, in Dialog treten mit denen, die da kommen.
Unseren Glauben macht ganz sicher nicht aus, voller Angst und Hass Fremde auszugrenzen, die bei uns Schutz vor Verfolgung suchen.

Unseren Glauben macht ganz sicher nicht aus, voller Angst und Hass Häuser anzuzünden und den Tod von Politikern zu fordern. 

Unseren Glauben macht aus, ohne Furcht auf andere zuzugehen. Klar zu sein in unserer Zuwendung, in unseren Gedanken, in unserem Handeln. Jeden Tag durch unser Handeln deutlich zu machen: Jesus liebt alle Menschen. Die, die zu uns kommen, selbst wenn wir uns organisatorisch überfordert fühlen. Jesus liebt alle Menschen. Auch die, die bei Pegida Hassparolen schreien. 

Streiten würde Jesus mit ihnen, ganz sicher. Und vielleicht, vielleicht würde er wieder untergehen daran. Sterben. Gelyncht werden von einem aufgebrachten Mob, der nicht versteht, dass dieser Mensch es ist, der die bedingungslose Liebe in die Welt gebracht hat.

Ach, Jesus, das mit der Nachfolge ist manchmal nicht so einfach. Das mit der Liebe. Das mit der Furchtlosigkeit. Jeden Menschen lieben? Auch den, der mir Böses will? Mich ausnutzen lassen und trotzdem mich liebevoll dem zuwenden, der mich ausnutzt?

Wenn dir einer auf deine rechte Backe schlägt, dann biete ihm die andere auch dar. Liebt eure Feinde, bittet für die, die euch verfolgen.

Ich sagte am Anfang, die Sache mit dem Glauben sei ganz schön vertrackt. Ja, das ist sie. Glauben ist nicht immer nur heile Welt und „wir haben uns alle lieb und Gott sowieso“. Glauben, das heißt tätige, furchtlose Liebe. Glauben, das heißt: Sich selbst vergessen. Die eingetretenen Wege verlassen. Neu beginnen, ganz neu. Da, wo wir das tun, da können sich Himmel und Erde berühren, dass Friede werde unter uns.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

EG 075 Wo Menschen sich vergessen