Predigt: Liebe ist Verpflichtung

Predigt am 3. Sonntag nach Trinitatis, 17.6.2018

St. Salvator/St. Johannis Schweinfurt

Text: 1. Joh 1, 5 - 2, 6
5 Das ist die Botschaft,
die wir von Jesus Christus gehört haben
und die wir euch verkünden:
Gott ist Licht,
in ihm gibt es keine Spur von Dunkelheit.
6 Wir lügen,
wenn wir behaupten:
»Wir haben Gemeinschaft mit Gott!«,
aber unser Leben nach der Dunkelheit ausrichten.
Was wir tun,
steht dann im Gegensatz zur Wahrheit.
7 Gott selbst ist ja im Licht.
Wenn wir nun ein Leben führen,
das – wie er selbst – im Licht ist,
haben wir Gemeinschaft untereinander.
Dann reinigt uns das Blut,
das sein Sohn Jesus vergossen hat,
von jeder Schuld.
8 Wir betrügen uns selbst,
wenn wir behaupten:
»Uns trifft keine Schuld!«
Dann ist die Wahrheit nicht in uns am Werk.
9 Wenn wir aber unsere Schuld eingestehen,
ist Gott treu und gerecht:
Er vergibt uns die Schuld
und reinigt uns von allem Unrecht.
10 Wir machen sogar Gott zum Lügner,
wenn wir behaupten:
»Wir haben noch nie etwas getan,
wodurch wir schuldig geworden sind!«
Dann ist Gottes Wort nicht in uns am Werk.
21 Meine Kinder,
das schreibe ich euch,
damit ihr keine Schuld auf euch ladet.
Wenn aber dennoch jemand schuldig wird,
dann haben wir einen Beistand beim Vater:
Jesus Christus,
der ganz und gar gerecht ist.
2 Er hat für unsere Schuld sein Leben gegeben
und hat uns so mit Gott versöhnt.
Und das gilt nicht nur für unsere Schuld,
sondern auch für die der ganzen Welt.
3 Ob wir Gott wirklich kennen,
können wir daran ablesen,
dass wir seine Gebote halten.
4 Wer behauptet:
»Ich kenne ihn«,
aber seine Gebote nicht hält,
ist ein Lügner.
In ihm ist die Wahrheit nicht am Werk.
5 Aber wer sich an sein Wort hält,
in dem ist die Liebe Gottes wahrhaftig vollendet.
Daran können wir ablesen,
ob wir in der Gegenwart Gottes leben.
6 Wer von sich sagt:
»Ich lebe in der Gegenwart Gottes!«,
geht damit eine Verpflichtung ein –
so zu leben,
wie Jesus gelebt hat.

Liebe Gemeinde!

„Gott ist Licht“. Was für ein Satz gleich am Anfang unseres Predigttextes! Da geht‘s gleich richtig zur Sache. Und gleich weiter: „In ihm gibt es keine Spur von Dunkelheit.“

Damit hat der Schreiber des 1. Johannesbriefs schon gleich noch für sich eine wichtige Frage beantwortet oder zumindest eine Spur gelegt: Wo kommt das Dunkel her, das Leid, der Tod, alles das, was uns beschäftigt und beschwert? Jedenfalls nicht von Gott, so viel ist für ihn klar. 

Ja, dieser Anfang unseres Predigttextes liest sich so schön, aber er hat es wirklich in sich: Gott ist Licht, in ihm ist keine Spur von Dunkelheit. Basta.

Bleibt die Frage: Was ist dann mit uns? Können wir sozusagen Anteil haben an diesem Licht? Kann unser Leben so hell sein wie Gott? Kann auch unser Leben ohne jede Spur von Dunkelheit sein?

Schön wäre das, oder nicht? Ein Leben ohne jede Spur von Dunkelheit. Ein Leben ohne Sorgen. Ohne Ängste. Ohne den ständigen Streit in der Familie, auf der Arbeit. Ohne Krankheit, ohne Leid. 
Ein Leben im Licht. In Frieden. Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika hat das sogar als legitimes Ziel des Menschen beschrieben: Life, liberty and the pursuit of happiness. Leben, Freiheit und das Streben nach Glück.

Mal ehrlich: Einen Film könnte man über so ein perfektes Leben nicht drehen, denn das wäre der langweiligste Film der Welt. Und ich merke auch in vielen Gesprächen mit Menschen, wie sehr sie gerade die schweren, dunklen Momente ihres Lebens zu dem gemacht haben, der sie sind. 

Aber es ist die Frage: Wonach richten wir unser Leben aus? Wie viel Raum geben wir dem Dunklen? Und damit meine ich – im Gegensatz vielleicht zu dem Autor des Johannesbriefs – nicht nur das, was man gemeinhin als „Sünde“ bezeichnet. Ich meine nicht nur die vielen großen und kleinen Übertretungen, die uns manchmal gar nicht so bewusst sind. Ich meine auch, dass wir unseren Sorgen und Ängsten zu viel Raum geben.

Wenn wir auf Gott blicken: Da ist Licht. Warum sind wir dann immer wieder so voller Angst und Zögerlichkeit, voller Dunkelheit?

Wir lügen,
wenn wir behaupten:
»Wir haben Gemeinschaft mit Gott!«,
aber unser Leben nach der Dunkelheit ausrichten.
Was wir tun,
steht dann im Gegensatz zur Wahrheit.

Gott jedenfalls ist Licht.

Aber Licht ist manchmal auch unangenehm.

Denn: Wo Licht ist, ist auch Schatten.

Im hellen Licht von Gottes Gegenwart wird uns dann erst so richtig bewusst, WIE dunkel unser eigenes Leben manchmal ist. Im Alten Testament gibt es an manchen Stellen diese Vorstellung: Gott kann man nicht von Angesicht zu Angesicht sehen, denn daran würde man sterben. 
Im hellen Licht von Gottes Gegenwart müssen wir erkennen: Ich bin gar nicht so toll, wie ich immer tue. 

Dabei ist das doch völlig normal: Immer versuchen wir, uns möglichst positiv darzustellen. Unsere Fehler verschweigen wir lieber. Ich erinnere mich noch sehr gut an einen Workshop vor ein paar Jahren, damals ging es genau um diese Frage: Wie stellen wir uns eigentlich in den sozialen Medien dar? Und wie würde das aussehen, wenn wir wirklich ehrlich wären und ALLES da reinschreiben würden? Dieser Workshop ist ziemlich in die Hose gegangen, denn offenbar hatte die Referentin nicht damit gerechnet, dass wir Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch jetzt nicht bereit sein würden, unsere Schattenseiten vor allen auszubreiten. Dabei ist das doch eigentlich völlig logisch: Niemand schreibt erst einmal gerne über die tiefen Abgründe im eigenen Leben.

Und meistens denken wir nicht einmal gerne darüber nach. Aber jetzt frage ich Sie, Sie ganz persönlich. Nehmen Sie sich einen kleinen Moment Zeit. Denken Sie darüber nach, im Licht von Gottes Liebe. Und seien Sie ehrlich zu sich selbst, auch wenn‘s weh tut:

Was sind meine Abgründe?

Wo habe ich versagt, wo versage ich jeden Tag neu?

Was sind meine Dunkelheiten?

Puh. Ja, das ist nicht leicht, sich den eigenen Dunkelheiten zu stellen. Das machen wir nicht gerne. Völlig klar. Aber ich glaube, es ist wichtig. Denn wer diese Seite ignoriert, wer sozusagen nur noch das Licht sehen will, der bringt manchmal umso mehr Dunkelheit mit sich. Ich denke da an Adolf Hitler, der sich als den großen Lichtbringer inszenierte – und damit das dunkelste Kapitel unserer Geschichte aufschlug. Bis heute wirkt es nach, erst vor kurzem wurden draußen auf der Baustelle die Überreste einer explodierten Weltkriegsbombe gefunden. 

Also: Woran erkennen wir denn, dass wir auf der „guten“ Seite stehen? Woran erkennen wir, dass das, was wir tun, wirklich Gottes Wille entspricht? Geht es darum, genau die Zehn Gebote zu befolgen? Sicher sind die wichtig – aber in vielen Punkten bringen die uns heute trotzdem nicht weiter. Über den Umgang mit großen Zahlen von Flüchtlingen sagen diese Gebote uns genau so wenig wie über die Bedingungen im Welthandel oder über den Klimawandel. Die Zehn Gebote sagen uns nichts darüber, ob ein Dieselauto noch zeitgemäß ist oder wie umweltschädlich eine Flugreise oder eine Kreuzfahrt ist. Sie sagen uns auch nicht viel über den Umgang mit pubertierenden Jugendlichen oder einem schwierigen Kollegen.

Welches Gebot ist wirklich wichtig? Das wurde schon Jesus gefragt. Und seine Antwort kennen Sie bestimmt alle. Wir nennen es meist das „Doppelgebot der Liebe“.

„Höre, Israel,
der Herr, unser Gott, ist der Herr allein,
und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben
von ganzem Herzen, von ganzer Seele,
von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft“ (5. Mose 6,4-5).
Das andre ist dies:
„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3. Mose 19,18).
Es ist kein anderes Gebot größer als diese.
(Mk 12, 29-31)


So fasst Jesus zusammen, worum es in unserem Glauben geht: Um die Liebe! So platt und abgedroschen das klingt und so weltfremd es manchmal auch daherkommt: Das ist es, was einen Christen, eine Christin ausmacht. Die Liebe.

Und zwar die Liebe gegenüber jedem Menschen. Der „Fremdling“ im Land war ja schon zu alttestamentlichen Zeiten ein wichtiges Thema. Immer wieder haben die Propheten darauf gepocht, dass die Fremdlinge gut zu behandeln seien. Aber die Liebe – sie gilt nicht nur den Fremden. Sie gilt auch denen, die unsere eigene Dunkelheit besonders hervortreten lassen: Denen, die wir gar nicht mögen. Denen, die uns zur Weißglut treiben. In der Familie, im Beruf, wo auch immer. Auch denen sollen wir mit Liebe begegnen. Bei den Freunden kann‘s ja jeder – Jesus fordert mehr von uns.

Liebe: Auch für unsere Gegner. Das heißt nicht, dass wir alles unwidersprochen stehen lassen sollen, sicher nicht. Aber es heißt, dass wir uns den Menschen liebevoll zuwenden sollen. Auch denen, deren Partei Hass und Ausgrenzung predigt statt Liebe. 

Ein Christ, eine Christin kann niemals gegen einen Menschen sein – aber sehr wohl gegen dessen Handlungen und Äußerungen. Und ja, das ist schwer, sehr schwer.

4 Wer behauptet:
»Ich kenne Gott«,
aber seine Gebote nicht hält,
ist ein Lügner.
In ihm ist die Wahrheit nicht am Werk.
5 Aber wer sich an sein Wort hält,
in dem ist die Liebe Gottes wahrhaftig vollendet.
Daran können wir ablesen,
ob wir in der Gegenwart Gottes leben.
6 Wer von sich sagt:
»Ich lebe in der Gegenwart Gottes!«,
geht damit eine Verpflichtung ein –
so zu leben,
wie Jesus gelebt hat.

Dieser allerletzte Satz unseres Predigttextes enthält etwas ganz wichtiges: Nachfolge – das ist auch eine Verpflichtung. Eine Selbstverpflichtung zur Liebe. Zur bedingungslosen Liebe, die auch Unannehmlichkeiten in Kauf nimmt, Zurückweisung, im äußersten Fall, so wie Jesus, sogar den Tod.

Nachfolge ist Verpflichtung. Verpflichtung, so zu leben, wie Jesus. Keiner hat gesagt, dass das leicht ist. Aber uns bleibt die Verheißung Jesu. Er hat gesagt:

Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Lassen Sie uns, getragen von dieser Verheißung, diese Welt liebevoller machen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.