Stylig am Morgen

Morgengedanken bei der Akademietagung des Netzwerks Citykirchenprojekte

"Stylig heilig" am 26.10.2021 in Augsburg

Stylig am Morgen. Wer hat sich den Titel nur schon wieder ausgedacht und ausgerechnet mich am frühen Morgen dazu eingeteilt. Mein Style um diese Zeit ist höchstens die Kaffeetasse, also bitte, tut euch keinen Zwang an und trinkt, wenn ihr noch was habt.

Was heißt denn eigentlich „Stil“? Und welchen Stil oder Style hat Gott? Bei der Kirche an sich ist es ziemlich klar für viele. Da können wir tun, was wir wollen, Kirche ist erst mal besetzt mit „verstaubt“ und „von gestern“ und so. Da brauchen wir ziemlich viele positive Erfahrungen, ziemlich viele Irritationen, damit sich dieses Bild bei den Leuten ändert.

Vielleicht haben wir da was gemeinsam mit Möbelhäusern. Ich höre nicht so oft Radio, aber die Werbung für ein bestimmtes Möbelhaus irritiert mich immer wieder mal – einfach deshalb, weil ich gar nicht weiß, wie ich sie einordnen soll.

Vor einigen Jahren war es Willy Astor, der bayerische Wortspielakrobat, der für das ebenfalls bayerische Möbelhaus Segmüller warb – Schluss-Satz: „Sappralott der Segmüller. Da, wo das Möbel haust.“ Das war eigentlich eine reine Radiowerbung, die Bilder hat irgend jemand anderes für Youtube gemacht.

Doch zur gleichen Zeit spielten sie auch noch so richtige marktschrerische Werbung mit „Rabatt! Rabatt! Kommt alle her!“. Mit, na ja, nennen wir es „visuellen Reizen, die vor allem Männer ansprechen sollen“, den höchsten Rabatten der Welt und allem Drum und Dran. Eigentlich wollte ich eine andere Werbung mit Humtata-Musik einspielen, aber die hab ich im Internet nicht gefunden, die hier ist auch irgendwie aussagekräftig.

Einziger Kommentar auf Youtube: „Dieses Video ist einfach nur perfekt!“ Keine Ahnung, mein Stil isses jetzt eher nicht.
Und dann gibt’s noch die sanfte, heimelige Werbung für gemütliche Sofas zu Hause bei Kerzenschein, während draußen die Eisschollen knacken.

Ach, und was weiß ich noch alles. OK, eines ist ihnen geglückt: Ich bin auf sie aufmerksam geworden. Werde zwar eher nicht da Möbel kaufen, aber ich mache mir Gedanken, was das eigentlich soll. Wollen sie mit verschiedenen Stilen verschiedene Zielgruppen ansprechen? Das scheint mir am plausibelsten. Aber schrecken sie nicht mit Humtata-Musik möglicherweise die Wortspielfans ab und umgekehrt? Und – wofür steht dieses Möbelhaus jetzt eigentlich? Es macht mich wirklich rappelig, dass die ständig auf andere Art und in einem anderen Stil werben. Also, wenn wir ehrlich sind: Genau wie Kirche.

Dabei kann ich die Motivation, die vermutlich dahinter steht, ganz gut nachvollziehen. Und das ist gleichzeitig auch das Problem.

Ist ein bisschen wie der berühmte Satz von Paulus: „Den Griechen ein Grieche, den Juden ein Jude“, so ähnlich in 1. Korinther 9. Da schreibt er: „Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise etliche rette.“

Scheint, als hätte Segmüller das ernst genommen.

Und wir? In unserer kirchlichen Arbeit? Was ist unser Stil? Welche Stil-Richtungen „bedienen“ wir? Klassische Musik und Orgelspiel, Hochkultur und ausgefeilte Predigt. Oder Band, Lobpreis und Hausgruppen. Oder Gespräch am Eistruck, im Kirchenladen oder im Kirchenzelt auf dem Heavy-Metal-Festival (die monieren immer, dass das Kreuz falsch rum hängt, super Einstieg, erzählt der Kollege, der das macht).

Vor manchen Gruppen und ihren üblichen Kommunikationsstilen graust es mir, andere liegen mir, manche finde ich cool, aber für mich unerreichbar.

Am Freitag bekam ich beispielsweise – bei einer nichtkirchlichen Veranstaltung – diesen wunderschönen, hm, Liedzettel. Aber so was gibt’s bei Kirchens natürlich auch und auch meine Liedblätter sind nicht immer perfekt.

Ja, wir sind vielfältig. Wir sind unterschiedlich. So unterschiedlich, dass die Leute uns manchmal gar nicht mehr als ein „Unternehmen“ wahrnehmen. Erik Flügge wird ja gleich einiges zu kirchlicher Kommunikation sagen. Ich hätte ihn, ganz ehrlich, hier jetzt auch zitiert, wenn er nicht hier säße. Denn vor einiger Zeit hat er mal angeregt, dass Kirche – in dem Fall erst mal die katholische, aber das kann man ja durchaus ausweiten – sich über alle Organisationsstrukturen hinweg ein einheitliches Logo gibt. Ein Kreuz und dann der Text „Katholische Kirche“ – egal, ob es nun um die DBK, die Caritas, die örtliche Krabbelgruppe oder was auch immer geht.

Aber dass wir – vor allem im evangelischen Bereich – vor dem jüngsten Tag ein einheitliches Erscheinungsbild hinkriegen, das ist ja dann doch völlig utopisch. Also, hier in der bayerischen Landeskirche haben wir das ja in der Theorie. Wir haben unser Balkenkreuz, wir haben die Farbe lila in genau definierten Farbabstufungen, wir haben eine einheitliche Schriftart namens Rotis, wir haben einen Website-Baukasten und alles. Hält sich nur keiner dran. Ich auch nur teilweise.

Und dann kommt noch Gott dazu. Der schon wieder. Was hat der eigentlich für einen Stil? Der Engel kommt an Weihnachten zu den Hirten, die waren sicher nicht supertoll gekleidet. Jesus ist als Fresser und Weinsäufer verschrien. Und hängt am Ende als Verbrecher am Kreuz. Sorry, aber das ist schon echt stillos, Gott. Wie sollen wir das denn unter die Leute kriegen? Ist doch auch keine wirklich stilvolle Botschaft, so mit Schwäche und Leiden und dem allem. Jesus, ich hätte da heute nachmittag einen wunderbaren Workshop für dich. Geh doch mal zur Stilberatung und nicht immer zu den Zöllnern und denen, die keiner mag.

Was hätte Jesus für Liedblätter ausgeteilt? Keine Ahnung. Wahrscheinlich gar keine. Und sicherlich keine, die die lila Farbe in 100, 70 und 30 Prozent Farbauftrag unterscheiden und ausschließlich Rotis SemiSans in zwei verschiedenen Schnitten verwenden.

Oder vielleicht eben doch? Solche abgerissenen Zettel holen heute ja keinen Menschen mehr hinter dem Ofen vor. Die Sehgewohnheiten und Hörgewohnheiten sind andere. Und für verschiedene Zielgruppen brauchen wir vielleicht auch ganz verschiedene Bild- und Textsprachen. Den Griechen ein Grieche, den Juden ein Jude, den Designern ein Designer, den Wortverliebten ein Wortverliebter und den abgerissenen Liedzetteln ein abgerissener Liedzettel. Niemand von uns schafft das alles, schafft jede Nuance dieses so diversifizierten Lebens abzubilden. Aber – wir sind ja nicht allein. Wir sind richtig viele, immer noch.

Ich glaube, es ist ganz wunderbar, dass wir so unterschiedliche Menschen und Herangehensweisen in unserer Kirche haben. Ja, auch die, deren Stil ich auf den ersten Blick für ganz fürchterlich halte.

Fragt sich, wie wir es schaffen, das alles wirklich sichtbar zusammenzubringen. Diakonie und Caritas, Kirchengemeinden, kirchliche Umweltgruppen, soziale Dienste und alles das. Am besten wirklich unter einem großen Kreuz.

Wir haben das alles in unseren Kirchen, in unseren Einrichtungen. Wir erzählen von Gott, von Jesus, von Gottes Liebe auf ganz unterschiedliche Weise. Wie kommen wir da hin, dass die Leute uns wirklich als eine große, lebendige Gemeinschaft ansehen – und irgendwann sagen:

Sappralott, die Kirche. Da wo das Leben haust.

(Da ich leider vergessen habe, auf "Aufnahme" zu drücken, habe ich die Gedanken später nochmal eingesprochen. Die Lacher und Reaktionen des Publikums fehlen daher. Schade.)