Wir brauchen mehr Lärm.
Zuerst dachte ich: Das ist ein Scherz. Doch nein: Der Vorsitzende der nordrhein-westfälischen Senioren-Union, Leonhard Kuckart, beschwert sich über Kinderlärm in Wohngebieten. Kindertagsstätten und auch Spielplätze sollten doch bitteschön am besten in Industriegebiete verlagert werden – Spielplätze wahlweise eventuell nur zu bestimmten Zeiten geöffnet sein (Die Mainpost berichtet heute von einem Bolzplatz, der sonntags geschlossen ist – unter der Woche haben die Kinder ja eh wenig Zeit, da müssen sie Hausaufgaben machen...)
Im Protest gegen den Vergleich von Kinderlärm mit Presslufthämmern werden sich die meisten wohl einig sein. Trotzdem will ich dazu nicht schweigen.
Denn ich glaube, Herr Kuckart verkennt eines ganz gewaltig: Wer seine Rente bezahlen soll. Na ja, vielleicht ist er ja auch finanziell völlig unabhängig, hat genügend Geld auf der hohen Kante, um keine Rente beziehen zu müssen. Für die meisten aber gilt: Die Kinder von heute zahlen in wenigen Jahren die Renten der Senioren. Doch so, wie die Kinderzahlen in Deutschland zurückgehen, wird das Geld schon bald nicht mehr reichen. Schon aus diesem ganz einfachen, ganz egoistischen Grund sollte auch Herr Kuckart einsehen, dass Kinder wichtig sind.
Na ja, er ist ja auch nicht gegen Kinder. Nur in Wohngebieten sollen sie halt nicht lärmen. Da wollen die Senioren ihre Ruhe haben.
Wer, frage ich, will denn in einem derart kinderfeindlichen Land noch Kinder großziehen? Kinder müssen leben, spielen, lärmen, sich entfalten können. Natürlich nicht überall und unbegrenzt. Sie müssen auch lernen, wo sie Rücksicht auf Regeln und die Bedürfnisse anderer nehmen müssen. Aber Spielplätze und Kindertagesstätten in Wohngebieten müssen sein. Kinder – und vor allem auch junge Familien – müssen sich wohl fühlen in unserem Land. Willkommen fühlen. Junge Eltern leisten einen großen Beitrag für die Zukunft unseres Landes. Sie bringen viel Energie, Liebe, Enthusiasmus und auch Geld ein in die Erziehung ihrer Kinder. Schlaflose Nächte, Kampf mit Hausaufgaben und Chaos im Kinderzimmer, Streit mit pubertierenden Jugendlichen, nächtliches Trösten bei Liebeskummer – alles das tun Millionen von Eltern, manchmal bis an den Rand der Erschöpfung. Und trotzdem tun die meisten es gerne und spüren, was sie dafür zurückbekommen. Ich glaube, es gibt nichts schöneres als das: Kinder zu haben, zu erleben, wie sie aufwachsen und zu Erwachsenen heranreifen.
Aber in all dem Stress müssen wir Eltern – ich schließe mich da jetzt auch mit ein, schließlich liegt unsere Kinderzahl weit über dem Durchschnitt – uns doch nicht noch mit solchen Äußerungen wie denen von Herrn Kuckart herumschlagen.
Hat Herr Kuckart selbst Kinder? Hat er all das jemals selbst erlebt? Meine kurze Recherche ergab nur, dass er verheiratet ist, von Kindern stand da nichts. Vielleicht liegt es daran, dass er gar nicht weiß, was für ein großer Segen Kinder sind. Oder in seinem Alter vielleicht Enkelkinder.
Wir brauchen unbedingt eine kinderfreundlichere Atmosphäre in unserem Land. Restaurants mit Spielecken, Kindertellern und Kinderstühlen. Selbstverständliche Spielplätze in Wohngebieten, nicht halb verfallene, sondern gut gepflegt und gern genutzte. Senioren, die strahlen, wenn sie Kinder spielen sehen. Senioren, deren Lieblingsplatz die Bank neben dem Spielplatz ist, und die immer eine Tüte Bonbons dabei haben. Auch in der Kirche brauchen wir das: Gottesdienste, die Platz für Kinder bieten.
Ich weiß: Manchmal sind Kinder schwer zu ertragen. Für Zugpendler gibt's es kaum etwas Schlimmeres als mitreisende Schulklassen. Und dass manchem empfindlichen Seniorengehör Kindergeschrei wie Presslufthämmern vorkommt, kann ich irgendwie auch verstehen. Geht ja mir schon manchmal so. Trotzdem: Wir müssen es ertragen. Mit-Tragen. Nein: Wir müssen es genießen.
Und, lieber Herr Kuckart: Nicht Kinderlärm macht krank. Sondern Griesgrämigkeit. Ich wünsche Ihnen einen schönen, lauten, turbulenten und fröhlichen Tag.