Was würden Sie tun, wenn Sie nur noch einen Tag zu leben hätten?

Predigt am Gründonnerstag 2010
Gochsheim, 1.4.2010 
Text: 1. Kor 11, 23-26
Paulus schreibt:
Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich euch weitergegeben habe: Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, 24 dankte und brach's und sprach: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis. 25 Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis. 26 Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.

Liebe Gemeinde!
Was würden Sie tun, wenn Sie nur noch einen Tag zu leben hätten?
Eine schwere Frage. Eine, die einem auch Angst machen kann: Wie ist das, was kommt denn nach meinem Tod? Und dann: Was ist so wichtig, dass ich es jetzt noch tun will, in der mir verbleibenden Zeit? Eine interessante Frage, der nachzugehen sich lohnen würde. Immer wieder kommt sie hoch, in Romanen, Liedern, Filmen.
Was würden Sie noch tun, wenn Sie nur noch einen Tag zu leben hätten? Manche würden wohl ganz in ihrer Todesangst aufgehen, würden nur noch auf diesen Moment hin leben und sich ihres Lebens nicht mehr freuen können. Vollkommen depressiv geworden, warten sie nur noch auf ihr Ende. Sie finden schon jetzt, zu Lebzeiten, keinen Grund mehr, zu leben. Sie sind eigentlich schon tot in dem Moment, in dem ihr Ende ihnen vor Augen steht.

Und dann gibt es da den ganz anderen Typen, der sagt: Jetzt will ich nochmal so richtig auf den Putz hauen, alles genießen, was es zu genießen gibt, denn morgen bin ich tot. Alles Geld ausgeben, eine große Fete feiern; wenn's etwas mehr ist als ein Tag, vielleicht noch eine Weltreise machen. Ein ziemlich verkrampftes Feiern kann das werden, denn man darf ja gar nichts verpassen. Was man jetzt verpasst, kann man nie mehr nachholen.
Was würden Sie tun, wenn Sie nur noch einen Tag zu leben hätten?
Würden Sie versuchen, alles mögliche Versäumte noch nachzuholen, oder würden Sie alles versäumen, was Ihnen noch möglich wäre zu tun?

Jesus war genau in dieser Situation. Die Gefahr, in der er sich befand, wurde ihm zur Gewissheit: Morgen werde ich verurteilt, morgen werde ich sterben. Auch Jesus kannte die Angst vor dem Tod, die Angst, dass das Leben einfach so zu Ende geht. Er hat einen anderen Weg gewählt, um mit dieser Angst umzugehen. Einen Weg, der von beiden Typen etwas hat: Vom Feiern, wohl auch ausgelassenen, fröhlichen Feiern ebenso wie von der Vorbereitung auf den Tod, der Erwartung dessen, was kommt.

Jesus setzt dem Tod etwas entgegen. Er setzt dem Tod das Leben, die Lebenslust, die fröhliche Gemeinschaft entgegen. Er lädt seine Freunde ein, mit ihm zu essen und zu trinken, mit ihm zu feiern. Das Passahfest feiern sie zusammen, eines der großen Feste des Judentums. Ein fröhliches und feierliches Fest ist das normalerweise, ein Fest der Befreiung, und das war es wohl auch an diesem Abend. Bis zu dem Moment, da Jesus ihnen sagte, dass einer von ihnen ihn verraten würde.

Essen und Trinken, in einer Gesellschaft, in der man sich wohlfühlen kann: So möchte Jesus seinen Freunden im Gedächtnis bleiben. Der in den Tod geht, stiftet das, was Leben ermöglicht, als Erinnerung an ihn. Das Brot, das das Leben trägt und erhält, und den Wein, der das Leben hebt und heiter macht. Der Todgeweihte wählt die Grundlage unseres Lebens als sein Symbol. Brot und Wein, daran soll er erkannt werden. Daran werden die Jünger ihn später, nach der Auferstehung, auch erkennen, auf dem Weg nach Emmaus.

"Zu seinem Gedächtnis" spüren wir heute noch dieser ersten Abendmahlsfeier nach. Versammeln uns unter dem Wort Gottes, feiern zusammen, essen und trinken wie Jesus mit seinen Anhängern. Und es ist mehr als nur ein Gedächtnis. Denn Jesus sagt: Dieses Brot ist mein Leib. In diesem Brot, in diesem Kelch ist Jesus wirklich gegenwärtig für uns. Er ist da, bei uns. Er ist der, der Leben möglich macht. Der, der den Tod überwunden hat, und auch die Angst davor. Und das ist sein Erkennungszeichen: Das Brotbrechen, und das Glas Wein dazu.

Das ist etwas, was wir feiern können und dürfen: Jesus ist uns nahe. In ganz alltäglichen Dingen ist er da, in Brot und Wein, in unseren Lebens-mitteln. Das ist etwas, was so wichtig ist, dass wir uns auch darauf vorbereiten. Wir heben das alltägliche auf eine andere Stufe. So, wie wir zu einer großen Feier normalerweise nicht in Alltagskleidung erscheinen, so ist es auch mit der Abendmahlsfeier: Wir bereiten uns innerlich vor. Wir lassen das hinter uns, was uns von Gott und von unseren Mitmenschen trennt, damit wir wirklich Gemeinschaft haben können. Das ist es, was wir heute in der Beichte tun wollen. Ein äußeres Zeichen dafür, dass uns nichts mehr von unseren Mitmenschen trennt, ist der Friedensgruß, eine alte Tradition beim Abendmahl.

Was würden Sie tun, wenn Sie nur noch einen Tag zu leben hätten? Feiern wie verrückt - oder verrückt werden vor Angst? Jesus hat noch etwas anderes getan an diesem Abend. Er hat nicht nur gefeiert mit seinen Freunden, er hat sich nachher auch zurückgezogen, um zu beten. "Bleibet hier und wachet mit mir", so hat er seine Freunde gebeten. Eine Nacht der Stille, des Gebets, aber auch des Zweifels, der durchgestanden werden wird. Eine Nacht, in der er ganz nahe bei Gott ist und mit ihm hadert. Diese Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag: Eine Nacht, die auch für die Christen immer eine solche Nacht des Gebets war. Eine Nacht, in der uns Gott, der uns unser Leben schenkt, ganz besonders nahe ist.

Jesus hat Leben ermöglicht. Durch die Feier des Abendmahls ebenso wie durch sein Gebet. Jesus zeigt uns, wie Leben möglich wird, auch im Angesicht des Todes. Jesus zeigt uns, wie es möglich ist, nicht verrückt zu werden. Wie wir feiern und wie wir beten können. Auch und gerade in Nächten der Angst.

Wie können wir das denn heute tun, hier in unserem Gottesdienst? Wie können wir "richtig" Abendmahl feiern, wie werden wir dem gerecht, was Jesus wollte?
Wie können wir heute Abendmahl feiern? Zum einen ist es für uns eine Erinnerungsfeier, in der wir uns daran erinnern, was Jesus getan hat. Jesus schenkt uns Leben, sein Leben. Und er will, dass wir nicht voll Trauer an ihn denken, sondern bei einer fröhlichen Feier, mit Brot und Wein. Gott ist eben nicht ein Gott, dessen Geschenk wir mit ernster Miene entgegennehmen müssen. Bei aller Andacht, die wir haben, wenn wir Abendmahl feiern, können wir doch mit frohem Herzen nach vorne, an den Altar gehen. Denn wir wissen, dass Gott uns sich selbst schenkt. Das ist ein Grund zur Freude.

Zum einen ist das Abendmahl eine Erinnerungsfeier, haben wir gesagt. Zum anderen ist es ein Mahl, das Gemeinschaft ermöglicht. Die Gemeinschaft mit Gott, denn durch Jesu Tod stehen unsere Sünden nicht mehr zwischen uns und Gott. Das wird uns in der Beichte noch einmal besonders zugesprochen. Und ebenso die Gemeinschaft mit anderen Menschen, mit allen christlichen Gemeinden überall und zu allen Zeiten. Deshalb geben sich in vielen Gemeinden die Christen vor der Austeilung die Hände und wünschen sich Frieden. Wir können einander vergeben, was wir falsch gemacht haben. Wir können es, weil Gott uns vergibt. Weil Jesus für uns gestorben ist. Weil er sein Leben an uns weiterreicht in Brot und Wein. Und wenn wir einander vergeben können, können wir auch uns selbst vergeben, wo wir Fehler gemacht haben. Gott jedenfalls vergibt uns - jeden Tag, und ganz besonders sichtbar in der Beichte, die wir jetzt vor dem Abendmahl feiern wollen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.