Dann geh doch! - Vesperkirche-Mittagsandacht am 9.2.22
Liebe Besucherinnen und Besucher, liebe Mitarbeitende der Vesperkirche,
zwei Meldungen beschäftigen mich heute und in dieser Woche sehr. Auf den ersten Blick scheinen sie nicht viel miteinander zu tun zu haben – aber vielleicht doch. Das eine ist natürlich die Situation in der Ukraine. Die Kriegsgefahr. Die Drohungen von russischer Seite, von Putin, der sich als starken Mann präsentiert und seine Position durchsetzen will.
Und die andere geht heute überall durch Facebook: Der Facebook-Mutterkonzern Meta hat gedroht, sich aus Europa zurückzuziehen, wenn die Datenschutzvorschriften so bleiben, wie sie sind. Also – kein Facebook und kein Instagram mehr in Europa. Puh, denkt man da auf den ersten Blick. Können sich viele kaum noch vorstellen, wie man ohne Facebook Kontakt halten soll.
Aber irgendwie scheint der Schuss nach hinten losgegangen zu sein für Meta. Zumindest bei den Leuten, mit denen ich auf Facebook verbunden bin, macht sich fast so was wie Hoffnung breit. Hoffnung auf eine Kommunikation, die nicht mehr so auf dieses eine Medium fixiert ist. Hoffnung auf eine Kommunikationsplattform, die weniger von Fake News und Hassbotschaften dominiert ist.
„Dann geh doch!“ titelt die Zeit. Und der Publizist Christian Nürnberger schreibt, wohlgemerkt auf Facebook:
„Nur zu, Zuckerberg, schalte Dein Facebook ruhig ab in Europa. Das eröffnete die Chance auf ein neu zu gründendes europäisches Netzwerk - am besten öffentlich-rechtlich kontrolliert - in dem Lüge, Hass, Desinformation und Verschwörungstheorien keine Chance mehr hätten. Und in dem es nicht mehr um Werbung und Verkaufe ginge, sondern tatsächlich um Information, Diskussion, soziale Kontakte. Müsste dann halt jede(r) Teilnehmer(in) einen kleinen Beitrag abdrücken. Es wäre ein Segen für Europa, vor allem wenn den anderen Informationsverschmutzern ebenfalls das Leben so schwer wie möglich gemacht würde.“
Dann geh doch.
Da zeigt uns jemand die Muskeln. „Schau, wie stark ich bin! Gegen mich hast du keine Chance!“ - und die Antwort ist ein achselzuckendes „Dann geh doch.“ Wir kommen schon klar ohne dich.
Leider ist das ja nicht immer so einfach möglich. Zu Putin können wir nicht einfach sagen: „Dann marschier doch in der Ukraine ein, wirst schon sehen, was du davon hast.“ Denn da wohnen Menschen, die unter einem Krieg leiden werden, die jetzt schon leiden, seit acht Jahren, ohne dass das große Aufmerksamkeit hervorrufen würde. Eine Patentlösung gibt es für solche Situationen nicht. Außer: Reden, reden, reden, solange es geht. Den Frieden suchen, ohne in den wesentlichen Fragen nachzugeben.
Lebt mit allen Menschen in Frieden – soweit das möglich ist und es an euch liegt.
So schreibt es Paulus im Römerbrief, Kapitel 12.
Auch er weiß: Das mit dem Frieden, das ist eben nicht immer so einfach. Wir können ihn nur suchen, ihm nachjagen, aber manchmal muss auch die klare Kante sein. Besonders dann, wenn es um das Leid anderer Menschen geht.
Hier in der Vesperkirche versuchen wir zu zeigen: Das mit dem Frieden, das geht. Das mit dem für andere da sein, das geht. So viele verschiedene Menschen kommen hier zusammen.
Ich habe in den letzten Tagen ein paar alte Presseberichte über die letzten Vesperkirchen seit 2015 gesammelt – und immer wieder wurde das betont: Wie sehr hier Leute zusammenkommen, die sonst nie zusammenkommen würden. Wie hier Menschen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen plötzlich an einem Tisch sitzen, die sich sonst nie begegnet wären. Wie das zum Verständnis beiträgt. Gemeinsam Essen schafft Frieden.
Vielleicht sollten wir Putin mal zur Vesperkirche einladen. Aber auch, wenn er nicht kommt: Tun wir, was uns möglich ist, um den Frieden zu erhalten.
Lebt mit allen Menschen in Frieden – soweit das möglich ist und es an euch liegt.
Ich wünsche Ihnen gute, friedliche Begegnungen bei der heutigen Vesperkirche.