Predigt beim MehrWegGottesdienst „Wir verstehen es auch nicht“

Gott, wo bist du? Wo hältst du dich versteckt?

So frage ich. Frage ich. Frage ich.

Das Leid der Menschen, die ich als Pfarrer begleite, schreit zum Himmel, Gott.

Die Eltern, die ihr Kind verloren, vier Jahre war es alt.

Die Menschen, die gegen den Krebs kämpfen. Junge wie alte. Und oft, viel zu oft, verlieren.

Die, die die Hoffnung aufgegeben haben. Die innerlich schon tot sind, obwohl sie noch existieren.

Die, die flohen vor Gewalt und Krieg und Bomben und diese Bilder nie wieder aus dem Kopf bekommen. Manche von ihnen sind achtzig und erzählen immer noch von damals. Andere sind zwanzig und ihre Heimat brennt. Heute.

Gott, wo bist du? Wo hältst du dich versteckt?

So frage ich. Frage ich. Frage ich.

 

Manchmal, ja, da seh ich dich.

Im Lachen eines Kindes.

In den ersten Blüten des nahenden Frühlings.

In einem liebevollen Blick.

In einer freundlichen Geste.

Ist das alles, Gott? Reicht das gegen all das Leid der Welt?

So frage ich. Frage ich. Frage ich.

 

Und ich klage an. Klage dich an, Gott.

Heute bist du nicht der Richter. Du bist der Gerichtete.

Rechtfertige dich, Gott! Steh Rede und Antwort! Wo warst du, als Millionen Juden starben? Wo warst du, als dieses Kind sterben musste? Wo warst du, wo bist du, wenn die Bomben fallen, egal wo auf dieser Welt?

Kannst du nichts tun? Dann bist du nicht Gott, dann bist du schwach und machtlos. Willst du nichts tun? Dann bist du kein liebender Gott.

Was tust du, Gott? Setzt du allen Ernstes ein paar Blumen und lachende Kinder gegen all das Leid und Elend dieser Welt? Ist das genug?

So frage ich, frage ich, frage ich.

 

Und dann donnert der Prophet deine Antwort.

„Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr“.

Ich verstehe deine Gedanken nicht. Kenne deine Gedanken, deine Wege nicht. Sehe doch so oft meinen eigenen Weg nicht.

Was sind meine Wege? Was deine? Welchen Weg hast du für mich? Ist er schwer, ist er leicht? Bist du dabei?

Und wo bist du auf diesem Weg?

So frage ich, frage ich, frage ich.

 

Und dann fällt mein Blick aufs Kreuz. Ich sehe auf ihn, auf Jesus. Ich höre ihn schreien, Worte, die manchmal meine sein könnten: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Und ich verstehe es nicht. Ist das dein Weg, Gott? Der Weg zu uns, der Weg ins Leid?

Meine Wege sind nicht eure Wege, sprichst du.

Ist es das? Erfahren wir dich gerade im Leid besonders nahe? Den Eltern des Kindes habe ich das gesagt bei der Beerdigung. Auf die Frage: Wo ist Gott? Sagte ich: Er wohnt jetzt bei euch.

Meine Wege sind nicht eure Wege, sprichst du. Ist dein Weg der Weg ins Leid und durch das Leid hindurch?

So frage ich, frage ich, frage ich.

 

Ich grüble. Was wäre mein eigenes Leben ohne die Krisen, auch die schweren Krisen? Ich wäre nicht der Mensch, der ich heute bin. Erfahren wir dich am tiefsten und ehrlichsten dann, wenn wir ganz verletzlich sind? Dann, wenn wir am Ende sind? Im tiefen Tal, in dem wir angeblich kein Unglück fürchten sollen? Weil durch Jesus das Leid, selbst der Tod, nicht mehr ohne Gott ist? Weil du all das kennst? Weil du all das überwunden hast?

So frage ich, frage ich, frage ich.

 

Manche Menschen zerbrechen. Werden nie mehr heil. Verlieren ihren Glauben.

Andere gehen mit blutenden Wunden und doch gestärkt heraus aus ihren Krisen. Sie haben dich erfahren. Deine Nähe. Ihr Glaube hat ihnen geholfen.

Doch ist das etwas, was man Menschen in Trauer, Leid und Krankheit zurufen kann? „Tröste dich, Gott ist dir jetzt besonders nahe, auch wenn du ihn nicht spürst?“ Das ist doch zynisch. Doch was dann? Bist du da, im Leid, Gott?

So frage ich, frage ich, frage ich.

 

Meine Wege sind nicht eure Wege, donnerst du uns entgegen. Unseren kleinen und großen Leiden, Klagen, Ängsten und Nöten. Und zeigst uns einen neuen Weg: Den Weg zu dir. Noch sind wir nicht am Ende. Nicht am Ziel. Doch dort, am Ende, bei dir, soll Freude und Friede sein. So sprichst du weiter durch den Propheten zu uns:

ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden. Berge und Hügel sollen vor euch her frohlocken mit Jauchzen und alle Bäume auf dem Felde in die Hände klatschen.

So große Freude soll sein bei dir, dass unsere Bilder es gar nicht mehr fassen können. Die Bäume werden in die Hände klatschen! Die Berge und Hügel sollen frohlocken! Ist das wirklich die Welt, die du uns versprichst?

Ich klage. Ich frage. Ich hoffe.

8 Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, 9 sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. 10 Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, 11 so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende. 12 Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden. Berge und Hügel sollen vor euch her frohlocken mit Jauchzen und alle Bäume auf dem Felde in die Hände klatschen. 13 Es sollen Zypressen statt Dornen wachsen und Myrten statt Nesseln. Und dem HERRN soll es zum Ruhm geschehen und zum ewigen Zeichen, das nicht vergehen wird.

Amen.