Predigt: Weihnachten ist der Eingang der anderen Seite

Predigt zur Christmette 2019 - Schweinfurt St. Johannis, 24.12.2019 23 Uhr 

Text: Micha 5, 1-4a
1 Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.  2 Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Israeliten.  3 Er aber wird auftreten und sie weiden in der Kraft des HERRN und in der Hoheit des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden bis an die Enden der Erde.  4 Und er wird der Friede sein.

Liebe Gemeinde!

Es gibt im Internet ein ganz wunderschönes Spielchen, das sehr faszinierend ist, weil es oft sehr lustige, manchmal aber auch nachdenkliche Texte produziert. Sie können das gerne mal ausprobieren. Falls Sie ihr Smartphone dabei haben, dürfen Sie‘s jetzt mal rausholen und selber ausprobieren. Geht mit fast jedem Gerät.

Öffnen Sie irgend eine App, in der Sie was schreiben können. Mail, Facebook, Twitter, völlig egal. Sie müssen‘s ja gleich nicht unbedingt abschicken. Und jetzt schreiben Sie Weihnachten. Fast alle Handys geben Ihnen dann ungefähr 3 Vorschläge, welches Wort als nächstes kommen könnte, weil Sie das in letzter Zeit so ähnlich geschrieben haben. Wählen Sie das, das Ihnen am sinnvollsten erscheint. Und jetzt machen Sie einfach eine Weile so weiter. Fügen Sie mal ein Satzzeichen ein oder tippen Sie einfach drauflos. Es wird vom Satzbau her nicht immer korrekt sein, aber oft doch irgendwie Sinn ergeben.

Genau diesen Vorschlag habe ich auf Twitter und Facebook vor ein paar Tagen gemacht. Da kamen so lustige Antworten wie:

Weihnachten ist ein fröhlicher Glaube an die Auferstehung der Toten Hosen und die Finsternis musste weichen der Heiland geboren. ( https://twitter.com/Joerg_Arndt/status/1208016940733796353 )

aber auch sehr nachdenkliche Sätze. Der hier zum Beispiel.

Weihnachten ist das eine - und die nächsten Abende auf dem Land zu finden und zu sehen: ich bin nicht so richtig in der Kirche und die Frage ist ja: wie ehrlich bin ich im Urlaub mit dem Thema in den nächsten Wochen - in die Kirche zu gehen oder   zur Ruhe zu kommen oder nicht so ( https://twitter.com/stadtpoetin/status/1207976676816248832 )

Ich weiß nicht, was bei Ihnen rausgekommen ist, wenn Sie es jetzt wirklich ausprobiert haben. Vielleicht völliger Quatsch, vielleicht auch etwas Ernstes.

Mein eigener Satz hat mich nicht mehr losgelassen. Jedenfalls der Anfang. Er lautete:

Weihnachten ist der Eingang der anderen Seite.

Also nicht: Der Eingang AUF der anderen Seite, sondern der Eingang DER anderen Seite.

Ich habe angefangen, darüber nachzudenken. Was heißt das: Die andere Seite? Ist da wer, da drüben irgendwo?
Die andere Seite der Macht, wird vielleicht der eine oder die andere jetzt denken, der neue StarWars-Film lässt grüßen. Und so ganz verkehrt ist das nicht. An so vielen Stellen in unserer Gesellschaft sind die Fronten verhärtet. Menschen stehen sich nahezu unversöhnlich gegenüber. Man braucht nur „Greta“ zu sagen, und schon geht‘s los. Ziemlich schnell wird da klar, wer auf der einen und wer auf der anderen Seite steht. Schwarz-weiß. Schattierungen dazwischen werden kaum noch wahrgenommen. Entweder bist du dafür oder dagegen, differenziert wird da nicht mehr. Auf allen Seiten. Aber:

Weihnachten ist der Eingang der anderen Seite.

Für mich habe ich diesen etwas rätselhaften Satz so weitergesponnen: Weihnachten, das heißt: Alle sind willkommen bei Gott. Auch die, denen ich unversöhnlich gegenüberstehe. Auch die, die mich regelmäßig zur Weißglut treiben. An Weihnachten, an der Krippe, kommen wir zusammen. Die Konflikte sollen schweigen. Die Streitgespräche verstummen. Denn Gott selbst stiftet Frieden zwischen uns.

Weihnachten ist der Eingang der anderen Seite. 

An der Krippe kommen wir zusammen. Menschen, die sich unversöhnlich gegenüberstehen, hören alle den Gesang der Engel: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden!

Das wird den Streit um den richtigen Weg in der Politik, im persönlichen Leben und wo auch immer nicht beenden. Es wird immer noch so sein, dass die einen schon genervt sind, wenn sie nur „Greta“ hören, während die anderen verzweifelt sind, weil nicht mehr und schneller etwas unternommen wird zur Rettung unserer Lebensgrundlagen. Aber vielleicht nimmt es etwas von der Schärfe aus der Diskussion, wenn wir das berücksichtigen: Auch die andere Seite hat Eingang zu Gott. Auch die andere Seite hat Eingang zu Weihnachten.

Weihnachten ist der Eingang der anderen Seite. 

Das hat für mich aber noch eine ganz andere Bedeutungsebene. Ich nehme es mal ganz geologisch und schaue auf die andere Seite der Erde. Fast genau uns gegenüber, in Australien, brennt die Welt. Temperaturen von unvorstellbaren 47 Grad. Waldbrände in einem Ausmaß, das ebenfalls unsere Vorstellung übersteigt. Dazu die Waldbrände in Brasilien, in Sibirien, in Spanien – überall weit mehr als gewohnt. 

Weihnachten ist der Eingang der anderen Seite. 

Wir sind aufmerksamer für das, was um uns herum geschieht. Wir lassen Dinge an uns herankommen. Die Geschicke der Menschen dort auf der anderen Seite der Erde, sie berühren uns. Und, ja, sie müssen uns auch berühren, denn die Klimawissenschaft sagt: Wir sind daran nicht unschuldig. 

Weihnachten ist der Eingang der anderen Seite, und das ist nicht immer angenehm, diese andere Seite.

Unser Predigttext aus dem Propheten Micha weist uns noch auf eine ganz andere Dimension hin: Auf die Kleinen. Auf die, die keiner wahrnimmt, so wie einst das kleine Dorf Bet Lachem, irgend so ein Kaff bei Jerusalem. Könnte genauso Obereuerheim sein, kennt praktisch niemand, außer er oder sie wohnt da oder hat Verwandte. Doch vor Gott ist es nicht klein. Vor Gott hat dieses Betlehem, wie wir es heute nennen, seine eigene Größe.

Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.

Weihnachten ist der Eingang der anderen Seite. Der Eingang der Kleinen, Unbeachteten. In unser Leben.
Wir sehen die Menschen, die wir von unserem Wohlstand ausschließen. Die, die für einen Hungerlohn Kleider nähen, damit wir es bequem und günstig haben. Die, die für uns weltweit in Minen nach Bodenschätzen graben und deren Umwelt durch die Minenabwässer vergiftet wird. Die, die sich selbst vergiften lassen durch Pflanzenschutzmittel auf den Soja-Monokulturen, damit wir genug Rindfleisch auf den Teller bekommen. 

Weihnachten ist der Eingang der anderen Seite, und das ist nicht immer angenehm, diese andere Seite.

Von den Hirten haben wir gehört, vorhin im Weihnachtsevangelium. Sie waren es damals, die diese „andere Seite“ repräsentierten. Wenig angesehen, ständig draußen, und sie stanken nach Tieren. Doch die Engel – sie kamen zu ihnen zuerst.

Weihnachten ist der Eingang der anderen Seite.

Der Eingang der Menschen, die arm sind. Die in Not sind. Die ausgebeutet werden. Der Eingang der Menschen, die voller Not aus ihrer Heimat fliehen, weil sie nicht mehr ein und aus wissen. Der Eingang der Menschen, die in der Wüste verdursten und im Mittelmeer ertrinken. Der Eingang der Menschen, die im Krieg um ihr Überleben kämpfen und noch mehr um das ihrer Kinder. Der Eingang der Kinder ohne Eltern in den völlig überfüllten griechischen Flüchtlingslagern.

Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.

Weihnachten ist der Eingang der anderen Seite, und wir sind nicht als erste gemeint.

Weihnachten, das erzählt von den Kleinen. Den Armen. Den Machtlosen. Vom Kind, das kein Bett und keine Wohnung hatte. Von der Familie, die wenig später vor Verfolgung fliehen musste in ein fremdes Land.

Weihnachten ist der Eingang der anderen Seite. 

Vielleicht kann es das werden: Der Eingang dieser „anderen Seite“ in unser Herz. In unser Leben. Vielleicht kann Weihnachten etwas verändern bei uns. Dass wir im Blick auf diese andere Seite unser eigenes Leben ändern. Dass wir uns einsetzen für die, die auf der Flucht sind. Für die, die ertrinken. Für die, die verhungern. Und für Gottes wunderbare Schöpfung, die brennt und zu verbrennen droht. Dass wir uns auf die Seite derer stellen, die neue Wege suchen hin zu einer gerechteren Welt, einer Welt, in der wir alle gut leben können.

Vielleicht kann so aus dem Kleinen, Unscheinbaren, wirklich der Friede entstehen.

Weihnachten ist der Eingang der anderen Seite.

Aus dem kleinen, unscheinbaren Betlehem kam die Rettung. Nicht von den Königen, nicht von den Mächtigen. Gott brachte den Frieden – von unten. Aus der Armut. Aus der Machtlosigkeit. Von Betlehem, die klein war unter den Städten in Juda, kam er. Der Friedefürst. Der, der die Welt verändern sollte und verändert.

„Sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden bis an die Enden der Erde.  Und er wird der Friede sein.“ So heißt es bei Micha. Bis heute ist diese Prophezeiung noch nicht erfüllt, aber es ist ein Auftrag für uns, daran zu arbeiten. 

Weihnachten ist der Eingang der anderen Seite.

Wenn wir das ernst nehmen, dann wird Weihnachten auch uns verändern. Dann wird diese andere Seite ein Bestandteil von uns. Dann findet sie Eingang in uns.

Weihnachten ist der Eingang der anderen Seite.

Das ist nicht bequem. Das ist nicht angenehm. Kein Wunder, dass sich manche Menschen dagegen sträuben, dass sie viele Probleme unserer Welt einfach nicht sehen wollen und von sich schieben.

Aber wenn wir es zulassen, dass die andere Seite Eingang findet bei uns – vielleicht findet die Welt dann, was sie schon so lange sucht und was die Engel verkündeten: 

Frieden auf Erden. 

Amen.

Predigtlied: 16, 1-5 Die Nacht ist vorgedrungen

Comments

Lieber Heiko,

ich habe gerade deine Predigt zur Christmette gelesen und finde sie genial?.

Ich wünsche dir ein gesegnetes und buntes Jahr 2020.

Viele Grüße

Ingeborg