Ansprache beim MehrWegGottesdienst: weiter leben

Weiterleben.

Was für ein Titel.

So ein Anspruch, so wenig wissen wir doch davon.

Weiterleben nach dem Tod.

Was ist da?

Was wird sein?

Die, deren Namen wir vorgelesen haben.

Wir, die wir hier zusammen sind.

Du. Ich.

Weiterleben.

Wie wird das sein?

Niemand weiß es, aber die Hoffnung ist groß.

„Fürchtet euch nicht!“ riefen die Engel, und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie.

Ein Vorgeschmack auf das, was kommt?

Licht, Frieden, Freude?

Ein Wiedersehen mit den Lieben?

Aber auch mit allen anderen?

Jesus spricht mal von dem Samenkorn, das in die Erde fällt und stirbt.

Erst dann kann es Frucht bringen.

Jesus meinte vermutlich sich selbst.

Seinen eigenen Tod und seine Auferstehung.

Aber Paulus hat das später aufgegriffen.

Er schreibt über uns alle, unseren Tod, unsere Auferstehung.

Er schreibt:

Das, was aus dem Samen hervorgeht – das ist etwas total anderes.

Niemand, der’s nicht schon wüsste, hätte das dem Samenkorn zugetraut.

Total anders – und doch das gleiche Leben, das gleiche Samenkorn.

Das ist unsere große Hoffnung. Das ist es, was uns versprochen ist.


 

Weiterleben:

Für viele auf dieser Welt ist das nicht irgendwas Fernes.

Für sie geht’s ums nackte Überleben.

Hier.

Jetzt.

Menschen bei uns, bei denen am Ende des Geldes noch der halbe Monat übrig ist.

Und die immer hören, sie seien faul, Sozialschmarotzer und so was.

Weiterleben: Wie denn?

Wenn du keine Hoffnung mehr hast.

Weil du krank bist, unheilbar krank.

Weil ein geliebter Mensch nicht mehr da ist.

Weil du die Arbeit verloren hast und trotz Arbeitskräftemangel überall niemand dich zu brauchen scheint.

Weil du gar nicht mehr weißt, was dich eigentlich wertvoll macht, für dich selbst, für andere, für Gott.


 

Weiterleben: Wie denn eigentlich?

Wie, wenn die Bomben auf dein Haus fallen und auf dein Versteck?

Wie weiterleben, wenn die große Dürre die ganze Ernte vernichtet hat?

Wie weiterleben, wenn das viel zu starke Unwetter auf dem ausgetrockneten Boden alles weggespült hat?

Wie weiterleben bei 50 Grad und mehr ohne Klimaanlage?

Wie weiterleben, wenn der Meeresspiegel steigt und deine flache Insel mit dem schönen Namen Kiribati schon halb überspült hat?

Wie weiterleben auf dem Boot im Mittelmeer, das dir die Rettung erschien vor Hunger, Gewalt, Folter und sicherem Tod?

Weiterleben? Wenigstens überleben.


 

Aber auf dem Plakat haben wir das Wort nicht zusammengeschrieben. Da steht: „weiter leben“.

Und meint dein Leben hier, auf dieser Erde.

Dein Leben. In dem es hoffentlich um mehr geht als das nackte Überleben.

Dein Leben hier, auf dieser Erde.

Vielleicht hast du gerade einen ganz klaren Weg vor dir, wie es weitergehen soll, dieses Leben.

Vielleicht hast du das Gefühl, du siehst den nächsten Schritt schon nicht mehr. Steckst fest im Nebel, hast keine Orientierung mehr, vor dir kein klarer Pfad, nur undurchdringliches Gestrüpp.

Egal, was es ist:

Schau dich um.

Was gibt deinem Leben Weite?

Was gibt deinem Leben Sinn?

Geht es vielleicht sogar woanders weiter?

Gibt es eine Abzweigung, die du übersehen hast?

Eine Lichtung am Wegesrand?

Ein Weggefährte, an dem du achtlos vorbeigehastet bist?


 

Selbst, wenn dein Weg klar vorgezeichnet scheint:

Tritt doch mal ein Stück beiseite.

Schau dich selbst an.

Schau um dich herum.

Was nimmst du schon gar nicht mehr wahr?

Wie viel Freude, wie viele Freunde sind da mit dir auf dem Weg?

Wo kannst du deinen Blick weit machen?

Wo kannst du Neues entdecken?


 

Weiter leben. Das ist so viel mehr als Weiterleben.

Das ist die Schönheit dieser Welt genießen.

Das ist Freundschaften pflegen.

Das ist auch: Dazu beitragen, dass die Welt schön bleibt oder wieder schön wird.

Weiter leben, das ist auch: Anderen helfen, dass sie weiterleben können.

Das ist alles nicht immer einfach, aber wer hat denn gesagt, dass es einfach sein muss?

Im Gegenteil: Die Weite, die Freiheit, die Größe – das hat auch oft etwas Bedrohliches. Das macht Angst. So vieles ist unklar. So vieles kann schiefgehen, und manchmal tut es das ja auch. Garantien gibt’s da keine. Alles ist Wagnis.

Ja, ich kann verstehen, warum viele Menschen einfachen Lösungen anhängen, die ihnen sagen:

Du gehörst zu den Guten, die anderen sind die Bösen.

Ich kann verstehen, dass in einer immer komplizierteren Welt einfache, populistische Antworten Zulauf bekommen.

Denn sie verdrängen die Angst.

Fürs erste.

Aber sie machen die eigene Welt eng. Klein. Beschränkt.


 

„Weiter leben“ heißt etwas anderes.

Ja: Weite und Vielfalt machen Angst.

Manchmal fehlt die Orientierung.

Es gibt keine Garantien.

Manchmal nicht mal richtige Wegweiser.


 

Weite und Vielfalt machen Angst.

Aber der Engel des Herrn spricht zu dir:

Fürchte dich nicht!

Ich bringe dir eine gute Nachricht,
die dem ganzen Volk große Freude bereiten wird.


 

Weite und Vielfalt machen Angst.

Aber der Engel des Herrn spricht zu dir:

Fürchte dich nicht!


 

Und die Klarheit des Herrn umstrahle dich.

Amen.