Die angebundene Katze

Andacht zur letzten Sitzung des Dekanatsausschusses des Ev.-Luth. Dekanats Schweinfurt (2019-2025), 08.04.2025

Es war einmal vor langer Zeit ein kleines Kloster. Jeden Abend feierten die Mönche gemeinsam mit den Dorfbewohnern Gottesdienst, und jeden Abend kam eine Katze in die Kirche spaziert. Sie sprang auf den Altar. Sie stieß die Kerzen um. Sie strich um die Beine der Heiligenstatuen. Und die Mönche stritten sich darum, wer sie auf den Schoß nehmen durfte. Kurz: Die Andacht war dahin.

Genervt ordnete der greise Abt des Klosters an, die Katze vor Gottesdienstbeginn draußen festzubinden, damit sie nicht mehr stören könnte. Gesagt, getan, ungestört Gottesdienst gefeiert, wenn auch irgendwie, na ja, etwas langweiliger.

Der alte Abt starb und auch einige der Brüder wurden im Lauf der Jahre zu Grabe getragen. Als schließlich die Katze starb, wusste niemand mehr, was damals eigentlich vorgefallen war. So wurde eine neue Katze angeschafft, die Abend für Abend vor der Kirche angebunden wurde. Und später noch eine. Und noch eine.

Die Jahrzehnte gingen ins Land. Die Klostergemeinschaft zerfiel, die letzten zwei Brüder schlossen sich einer anderen Bruderschaft an. Einen allabendlichen Gottesdienst gibt es nun schon seit über hundert Jahren nicht mehr. Doch immer noch binden die Dorfbewohner jeden Abend eine Katze vor der Ruine der alten Klosterkirche an. Denn: Das haben sie ja immer schon so gemacht.

Und wir?

Heute sitzen wir zum letzten Mal in dieser Runde zusammen. Manche werden im neuen Dekanatsausschuss weiter vertreten sein, für manche ist es heute das letzte Treffen. Unsere Gemeinschaft auf Zeit löst sich auf, jedenfalls zum Teil.

Da geht der Blick schon mal zurück:

Was haben wir bewirkt in diesen sechs Jahren?

Was wird von unseren Beschlüssen bleiben?

Was wird – hoffentlich – in der Zukunft segensreich wirken?

Viel haben wir über Strukturen gesprochen. Den Landesstellenplan umgesetzt. Die regionalen Jugendstellen eingerichtet. Den Grünen Gockel beschlossen. Die Brasilien-Arbeit nach Corona wiederbelebt. Und vieles mehr, was über das Alltagsgeschäft hinausgeht, das natürlich auch immer breiten Raum einnehmen musste.

Was wird von uns bleiben?

Welche Beschlüsse werden Bestand haben?

Haben wir Dinge in Gang gesetzt, die noch in Jahrzehnten weiterwirken werden?

Oder haben wir nur Katzen angebunden, Sachen beschlossen, die vielleicht weiterwirken, aber eigentlich sinnlos sind?

Vielleicht ist aber auch nicht jede angebundene Katze wirklich sinnlos. Vielleicht wäre ja auch die Dorfgemeinschaft ohne dieses allabendliche Ritual, das inzwischen immaterielles UNESCO-Kulturerbe wurde, schon längst zerfallen, wer weiß?

Ich denke an die Geschichte von Abraham. Ihm hatte Gott damals versprochen: „Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein“.

Und noch heute, Tausende Jahre später, erinnern wir uns an ihn, den Stammvater Israels.

Wir erinnern uns nicht an alles, was er getan hat. Und manche Erinnerung wird sich völlig verfälscht haben im Lauf der Zeit. Manche Katze, die er damals angebunden hat, würden wir heute nicht wiedererkennen.

„Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein“. Ich hoffe darauf und vertraue darauf, dass dieser Segen Gottes auch über unserer Arbeit in den letzten sechs Jahren lag. Und dass manches davon weitergehen wird.

Vielleicht wird irgendwann in zwanzig Jahren eine junge Konfirmandin so begeistert sein von der regionalen Jugendarbeit, dass sie Diakonin wird und viel später die erste Diakonin als bayerische Landesbischöfin, wer weiß. Und ihr wird es gelingen, ganz neue Impulse zu setzen, dem christlichen Glauben wieder Bedeutung im Leben der Menschen zu geben.

Niemand wird dann mehr wissen, dass wir das damals auf den Weg gebracht haben. Dass wir sozusagen die Katze angebunden haben, die regionale Jugendarbeit heißt und die immer noch segensvoll weiterwirkt.

Vielleicht, wahrscheinlich, kommt auch alles ganz anders. Aber trotz aller Schrumpfungs- und Neustrukturierungsprozesse: Ich glaube, dass Gottes Segen auch auf unserer Arbeit hier lag und weiter liegt. Gott findet schon Wege für uns und für unseren Glauben.

Also, los geht’s mit Gottes Segen zur letzten Sitzung. Lasst uns ein Segen sein und noch ein paar Katzen anbinden. Oder sie loslassen.

Amen.