Mäh! Ich bin ein Schaf.

Predigt am Sonntag Misericordias Domini 2009
Bergrheinfeld, 26.4.2009
Text: Joh 10, 11-16 (27-30)

Jesus Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe. 12 Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verläßt die Schafe und flieht - und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie -, 13 denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe. 14 Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, 15 wie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. 16 Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muß ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden.
27 Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; 28 und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. 29 Mein Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen. 30 Ich und der Vater sind eins.

Liebe Gemeinde!
Manchmal reagieren Menschen auf diesen Bibeltext eher verärgert. Jesus vergleicht uns Menschen mit Schafen? Was soll das? Wir sind doch keine dummen Schafe! Schafe sind feige und dumm. Selbst in Brehms Tierleben steht: „Seine Furchtsamkeit ist lächerlich, seine Feigheit erbärmlich. Jedes unbekannte Geräusch macht die Herde stutzig, Blitz und Donner und Sturm und Unwetter überhaupt bringen sie gänzlich aus der Fassung“. All denen, die Schafe für dumm halten, empfehle ich erst einmal die Lektüre des Wikipedia-Eintrags „Hausschaf“ oder anderer Artikel über Schafe. Denn die sind gar nicht so dumm, wie wir immer tun. Schafe können sich die Gesichter von 50 Artgenossen über zwei Jahre merken. Also, da stoße ich an meine Grenzen. Schafe werden ruhiger, wenn man im Stall Bilder von Schafen aufhängt, weil sie sich dann nicht so allein fühlen. Das hat ja schon fast was Menschliches. Und Schafe entwickeln gemeinsam Techniken, um z.B. der großen Sonneneinstrahlung im Sommer widerstehen zu können. Schafe sind nicht blöd.
Aber darum geht\'s ja sowieso nicht in dieser Geschichte, die Jesus erzählt. Es geht um etwas ganz anders. Darum, dass da einer ist, der auf diese Schafe aufpasst. Ein Hirte. Einer, der für seine Schafe da ist. Der jeden Tag mit ihnen lebt. Der quasi einer von ihnen wird. Ein Hirte verließ gewissermaßen die Gemeinschaft der Menschen, um mit seinen Tieren zu leben. Ob das eine Analogie ist, die Jesus bei dieser Geschichte im Kopf hat? Hatte er nicht auch seinen Vater verlassen, um mit uns Menschen zu leben?
Solche Hirten wünschen wir uns. Nach ihnen suchen wir. Vielleicht sind wir manchmal doch wie die Schafe, die folgen, wenn jemand uns etwas sagt. Es macht das Leben so viel einfacher, wenn uns jemand sagt, wo\'s langgeht. Wenn uns jemand in dieser komplizierten Welt die Richtung vorgibt. Gerade hier in Deutschland haben wir so unsere eigene Geschichte mit Anführern. Mit einem Führer vor allem, der seine Schafe in eine Situation geführt hat, von der die allermeisten hinterher gesagt haben: „Das hatten wir doch gar nicht gewollt“. Das war sicher kein guter Hirte, auch wenn er sich gerne als so einer dargestellt hat.
Aber es gibt viele andere Anführer, Hirten, die durchaus Positives bewirken und denen die Menschen nachfolgen, denen sie zujubeln. Menschen, die anderen die Richtung zeigen. Mahatma Gandhi war sicher so ein Mensch. Ein positiver Führer. Vielleicht auch Mutter Theresa, und wenn wir schon im kirchlichen Bereich sind, dann fällt mir da noch Frère Roger Schütz ein, der Gründer der Gemeinschaft von Taizé, der wir so schöne meditative Gesänge verdanken. Und wenn wir auf die heutige Weltpolitik schauen, dann muss da unbedingt noch der Name Barack Obama genannt werden. Alle Welt hofft auf ihn, dass er die drängenden Probleme der ganzen Welt löst. Auch ich traue ihm viel zu – aber vielleicht erwarten wir dann doch zu viel von ihm? Aber das ist er auf jeden Fall: Ein Hirte, der seinen Schafen die Richtung zeigt.
Zurück zu unserer Geschichte. Ein Hirte verteidigt seine Schafe gegen alles, was da so kommt. Er sucht Weideplätze für sie. Kämpft gegen Wölfe. Sucht verlorene Schafe. Als ihr Anführer ist er ganz für sie da. Der gute Hirte, so sagt Jesus, der gibt sogar sein Leben für seine Schafe. Das natürlich ist eine Anspielung auf Jesu Aufgabe. Auf sein Schicksal und seine Bestimmung. Auf seinen eigenen Tod am Kreuz.
Ob ein normaler Hirte wirklich sein Leben lassen würde für seine Schafe? Die meisten waren ja doch nur Angestellte. Schlecht bezahlt, von den anderen gemieden, allein auf sich gestellt. Ein „Mietling“ eben, wie es in Luthers Bibelübersetzung heißt. Der würde angesichts eines Rudels Wölfe vermutlich eher davonrennen, als sich mutig vor seine Schafe zu stellen. Und wer könnte es ihm verdenken? Wer würde ihm einen Vorwurf daraus machen? Jesus sagt: Ich bin anders. Ich bin der gute Hirte. Ich gebe mein Leben für meine Schafe, freiwillig und sehenden Auges. Meine Schafe, die sind das Allerwichtigste auf dieser Welt. Ein interessanter Satz mittendrin: „Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muß ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden.“ Nein, Jesus meint keine Außerirdischen, für die er auch noch zuständig ist, wie ein Konfirmand es mal vermutet hat. Er will nur sagen: Ich bin nicht nur zum jüdischen Volk gesandt. Ich bin für alle Menschen auf der ganzen Welt da. Alle, die meine Stimme hören – alle, die meine frohe Botschaft hören, die sind meine Schafe.
Am Schluss unseres Predigttextes geht Jesus weit über das normale Bild eines Hirten mit seiner Herde hinaus, und doch hört es sich für uns an wie eine logische Schlussfolgerung: 27 Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; 28 und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. 29 Mein Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen. 30 Ich und der Vater sind eins.
Jesus, der gute Hirte, er gibt nicht nur sein Leben, nein: Er überwindet damit den Tod. Er gibt seinen Schafen das ewige Leben. Niemand wird seine Schafe, also uns, aus seiner Hand reißen. Bei ihm sind wir sicher. Bei ihm können wir leben. Er ist der gute Hirte.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.