Predigt: 40 Jahre so weiter?

Predigt am Altjahresabend 2020
Schwebheim, 31.12.2020

Text: Ex 13, 20-22 So zogen sie aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste.
Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten.
22 Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.

Liebe Gemeinde!

Ich weiß nicht, ob Sie’s heute schon in den Nachrichten gehört haben. Bei den Corona-Impfungen hat es nun doch Komplikationen gegeben, alle Impfungen wurden weltweit eingestellt, weil das Virus sich nochmal verändert hat. Und diese neue Veränderung ist so komplex, dass quasi alle Forschung bisher vergebens war. Das letzte, was ich gehört habe, bevor ich hier her gefahren bin, war: Es könnte bis zu 40 Jahre dauern, bevor wir wieder aus dem Tief herauskommen.

40 Jahre. Das darf doch nicht wahr sein.

Nein, natürlich ist das nur erfunden, Entschuldigung. Aber in der Geschichte, aus der unser heutiger Predigttext stammt, geht es um genau diesen Zeitraum: 40 Jahre. So lange, so erzählt die Bibel, war das Volk Israel in der Wüste unterwegs. Bis zum Jahr 2060 also, wenn wir mal dieses Wüstenjahr 2020 mit reinrechnen. Fast unvorstellbar lang. Eine unglaubliche Durststrecke, auch im wörtlichen Sinn, manchmal gab’s nicht genug Wasser, manchmal kaum was zu Essen, aber immer, immer sorgte Gott für sein Volk. So erzählt es die Bibel.

Und ganz am Anfang dieses Auszugs aus Ägypten, da steht unser heutiger Predigttext. Und er macht auch Mut:

So zogen sie aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste.
Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten.
22 Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.

Noch wissen die Israeliten nicht, was für ein langer, beschwerlicher Weg vor ihnen liegt. Noch herrscht Aufbruchsstimmung. Nichts wie raus aus der Sklaverei, nichts wie weg von diesem unterdrückerischen Ägypten! Auf in das gelobte Land, das Gott uns zeigen wird. Dass viele von denen, die aufgebrochen sind, das Land nie erreichen werden und dass viele, die dort ankommen werden, noch lange nicht geboren sind – das ahnten sie damals nicht im geringsten.

Aber eines sahen sie, und es gab ihnen Mut: Gott war da. Sichbar. Eine Wolkensäule bei Tag, eine Feuersäule bei Nacht. Sie liefen bis zur Erschöpfung, Tag und Nacht, und kamen doch erst nach Jahrzehnten an, obwohl der Weg doch gar nicht so lang war. Ein paar Wochen, höchstens Monate, hätte es gedauert, doch Gott war zornig auf sein Volk und ließ sie umherirren, so heißt es im 4. Buch Mose.

Aber: Die Wolkensäule. Die Feuersäule. Später das Manna in der Wüste, Wachteln und noch viele weitere Geschichten von Begleitung und Rettung. Gott ist sichtbar und spürbar da. Er geht mit, und wenn der Weg durch die Wüste 40 Jahre dauert.

Stellen Sie sich mal vor: Sie stehen nicht am Anfang einer 40jährigen Wüstenwanderung, sondern an deren Ende. Wie alt sind Sie heute? Ziehen Sie mal 40 ab, oder wenn Sie noch unter 40 sind, dann überlegen Sie: Wo waren meine Eltern damals, vor 40 Jahren, am Silvestertag des Jahres 1980?

Zur Erinnerung: Helmut Schmidt bleibt Bundeskanzler und setzt sich gegen Franz Josef Strauß durch, Ronald Reagan wurde zum US-Präsidenten gewählt, die Grünen wurden gegründet, die Deutsche Bundespost führte für Ortsgespräche den Acht-Minuten-Takt ein, der Rubic’s Cube oder Zauberwürfel ließ alle Welt verzweifeln. Und Sie?

Wo standen Sie damals, wo stehen Sie heute?

Was war Ihr Weg durch diese letzten 40 Jahre?

War es ein Weg durch die Wüste?

Oder eher durch grüne Auen?

Oder von beidem etwas?

Gab es für Sie Momente, in denen Sie sagten: Ich sehe die Feuersäule Gottes klar vor mir?

Oder irrten Sie auch in Glaubensfragen eher orientierungslos durch die Gegend?

Ich glaube, so ein Rückblick auf 40 Jahre des eigenen Lebens kann nicht in einer halben Minute hier in der Kirche geschehen. Diese Frage möchte ich Ihnen daher gerne mit nach Hause geben: Wo habe ich Gottes Führung erlebt in meinem Leben? Wo gab es kleine und große Zeichen, die ich als von Gott gesandt erlebte? Wo bin ich Menschen begegnet, die für mich zu Boten Gottes wurden?

Und, auch das ist wichtig: Wo bin ich in schweren, manchmal aussichtslosen Zeiten gereift und letztlich gestärkt daraus hervorgegangen?

Gerade das vergangene Jahr hat natürlich für viele eine ganz besondere Bedeutung. So was wie diese Pandemie haben wir noch nie erlebt. Aber selbst da frage ich: wo haben Sie in diesem Jahr Zeichen Gottes gefunden? Vielleicht waren es ganz kleine, leicht zu übersehende Zeichen. Glücksmomente mitten in all den Sorgen. Lichtblicke. Ein Lächeln unter der Maske. Ein Kontakt, der jetzt via Videokonferenz oder Telefon auf einmal wieder viel intensiver geworden ist. Ein im Lockdown neu entdecktes Hobby.

Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.

Wir blicken auf ein neues Jahr und hoffen, dass es besser wird als das vergangene. Wir blicken auf ein neues Jahr und hoffen darauf, dass wir Gott darin erblicken können. Sein Wirken. Seine Liebe. Seine Zuwendung.

Für die Israeliten war er immer sichtbar. Wir müssen vielleicht manchmal ein bisschen genauer hinschauen, aber ich glaube: Auch wir können ihn entdecken in unserem Leben. Das ist vielleicht auch ein guter Vorsatz fürs neue Jahr: Darauf zu achten: Wo erkenne ich Gott in meinem Leben?

Und das andere: Wir können versuchen, so zu leben, dass wir für andere zu einem Zeichen Gottes werden. Beides zusammen würde das neue Jahr und die ganze Welt doch schon viel erträglicher machen.

Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.

Auch bei uns ist Gott, jeden Tag, jede Nacht. Niemals weicht er von unserer Seite, auch nicht in den schweren Momenten, auch nicht, wenn wir ihn in diesen schweren Momenten weder sehen noch spüren können.

Kaum einer hat das so berührend ausgedrückt wie Dietrich Bonhoeffer in seiner Gefängniszelle in den letzten Tagen des Jahres 1944, als er schon ahnte, dass dies sein letztes Silvester sein könnte, denn die Nazis würden ihn nicht am Leben lassen. Am Ende dieses für ihn verheerenden Jahres, getrennt von seiner Familie und seiner geliebten Verlobten, schrieb er dieses Gedicht:

1. Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

2. Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.

3. Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.

4. Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.

5. Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.

6. Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Amen.

Foto: Peter Sebald  / pixelio.de