Predigt: Martha spielt Techno

Predigt am Sonntag Estomihi 2017

St. Salvator/St. Johannis 26.2.2017

Text: Lk 10, 38-42

Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. 39 Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. 40 Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester läßt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! 41 Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. 42 Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.

 

Liebe Gemeinde!

Als ich zum ersten Mal nachsah, welcher Predigttext für heute dran ist, war meine erste Reaktion: „Oh nee!, Schon wieder Maria und Martha!“ Was soll ich Ihnen denn noch Neues über diese Geschichte erzählen? Kennen sie doch schon alles. Martha, die alles tut, um ihren Gast zufriedenzustellen. Und Maria, die einfach nur da sitzt und Jesus zuhört. Was soll ich da schon noch Neues dazu sagen.

Und dann widmete ich mich erst mal wieder den Dingen, die man als Citykirchenpfarrer halt so macht. Ein Plakat gestalten für den ersten ökumenischen Motorradgottesdienst in St. Johannis. Den nächsten MehrWegGottesdienst vorbereiten und die Nacht der Offenen Kirchen im Oktober. Termine planen für 2018, kein Witz. Lauter wichtige Sachen.

Zu diesen wichtigen Sachen gehörten dann auch zwei Tagungen vor zwei Wochen, eine in Bochum und eine in Hannover, gleich hintereinander. Beim ZAP-Kongress des Zentrums für Angewandte Pastoraltheologie der Ruhr-Uni Bochum unter dem Titel „für eine Kirche, die Platz macht“ ging es darum: Wie präsentieren wir uns als Kirche in einer Welt, die sich verändert hat? 480 Teilnehmer hatten sich da versammelt. Professor Sellmann, der Leiter des ZAP, berichtete zum Beispiel von silentMOD, einer Aktion im Kölner Dom zur gamescom, der weltweit größten Messe für Computerspiele. An drei Abenden verwandelte sich der Dom in eine Lichtshow mit Lasereffekten, Techno-Musik und sogar einem speziell kreierten Duft. 50.000 junge Besucher haben an drei Abenden bis zu zwei Stunden angestanden, um zu sehen, wie die drei suchenden und tastenden Laserstrahlen am Ende das Kreuz fanden.

Martha, hast du toll gemacht, dachte ich mir. Eine super Aktion. Kirche – in diesem Fall die katholische – als hervorragender Gastgeber, der sich auf die Kultur seiner jugendlichen Besucher einstellt, ihre Sprache spricht, ihre Musik spielt, sie fasziniert. Auf eine ganz andere Weise ist das so etwas ähnliches wie hier unsere Vesperkirche. Eine große, aufwändige Aktion. Viel Herzblut, auch viel Geld in die Hand genommen. Ein großes Risiko eingegangen und viel Kritik eingesteckt, um Gastgeber sein zu können für Menschen, die zu uns kommen. Ist das nicht jede Anstrengung wert? Hat Martha nicht recht, wenn sie sich um ihren Gast Jesus genau so bemüht wie wir um unsere Gäste bei der Vesperkirche oder die Veranstalter von silentMOD um die jugendlichen gamescom-Besucher?

Sicher hat sie recht, die Martha. Und doch fehlt halt etwas, wenn es nur bei der Aktion stehen bleibt. Das war auch bei silentMOD eine oft geäußerte Kritik: Dass es reiner Aktionismus sei. Dass da sowieso nichts hängen bleibt. Dass wir uns lieber auf das Wort Gottes konzentrieren sollen und das ehrwürdige Haus Gottes nicht mit solchen Aktionen verschandeln sollen. Auch über die Vesperkirche habe ich manchmal solche Stimmen gehört, meistens von Menschen, die sie noch nicht besucht hatten. Denn wer einmal bei der Vesperkirche dabei war, der wird zustimmen, wie spürbar und präsent Gott in dieser Kirche sein kann. Und natürlich die Gemeinschaft derer, die da essen und arbeiten.

Und dann redete dieser Professor Sellmann bei seinem Einstiegsreferat von etwas ganz anderem. Davon, dass es gar nicht darum gehe, unsere Kirchen wieder voll zu machen, sondern darum, erst einmal für die Stadt da zu sein. Wir sind nicht dazu da, unsere kirchlichen Strukturen zu stärken. Das Wofür der Kirche ist die Welt, sagte er. Und woran man uns erkennt, das ist, dass wir höfliche und großzügige Menschen sind. Seine Vision ist, dass wir als Einzelne, aber auch als Gemeinschaft weiterfinden von der Einsamkeit zur intensiven Stille, von Feindschaft zu Gastfreundschaft, von der Illusion zum vertrauensvollen Gebet. Wer so lebt, sagt Sellmann, erfährt einen Rückenwind, den wir Gott nennen.

Also doch nicht nur Martha. Sondern erst einmal Maria: Gott erfahren. Jesus wahrnehmen. Still werden. Gastfreundlich leben. Vertrauen lernen. Leben wie Jesus gelebt hat. Immer wieder haben wir in diesen eineinhalb Tagen des Kongresses zwar verschiedene gelungene Aktionen und Konzepte angesehen, dabei aber auch ständig hinterfragt: Warum machen wir das eigentlich? Was ist unsere Basis? Was ist unsere eigene Botschaft als Kirche? Wenn uns das nicht klar ist, hilft der ganze Aktionismus tatsächlich nichts. Maria und Martha – das gehört untrennbar zusammen. Das Hören auf Gott. Und dann, erst danach, das Tun. Das Hören allein taugt nichts, wenn es nicht dazu führt, dass wir uns anderen Menschen zuwenden, höflich und großzügig. Und alles Tun allein taugt nichts, wenn wir nicht wissen, weshalb wir eigentlich da unterwegs sind im Auftrag des Herrn.

Ja, und dann fuhr ich – mit einigen anderen, die auch an beiden Tagungen teilnahmen – weiter nach Hannover, wo gleich am Abend eine weitere Tagung begann. Die stand unter dem Titel „w@nder“ - eine Konferenz für Pioniere. Das ökumenische Team von Kirche² in Hannover hatte Menschen eingeladen, die neue Wege gehen wollen in der Kirche und die oft genug das Gefühl haben: Wir passen da nicht rein in dieses System. Jonny Baker, ein Ausbilder aus der anglikanischen Kirche, sprach dort zu uns vom „gift of not fitting in“, der „Gabe, nicht hineinzupassen“. Und davon, wie wichtig es ist, dass es Menschen in der Kirche gibt, die die normalen, eingetretenen Wege verlassen. Das heißt ja nicht, dass alles schlecht ist, was schon läuft – aber viele Menschen fühlen sich eben nicht angesprochen von dem, was wir normalerweise in der Kirche so tun. Aber auch er sagte dann: Wir sind von Gott gesendet, um unsere Botschaft zu den Menschen zu bringen. In ihre Kultur hinein. Und es ist wichtig zu unterscheiden: Was ist die eigentliche Botschaft, was gehört zu dem Drumherum, dem Kontext? Manche alten Strukturen funktionieren vielleicht nicht mehr, wir müssen neue Wege gehen. Aber wie können die aussehen? Und immer wieder die Frage nach Maria: Was ist unsere Grundlage? Worauf bauen wir auf?

Maria, die Hörende. Martha, die, die was bewegt. In unserem Predigttext sind sie zwei Gegensätze, und es ist klar, was für Jesus wichtiger ist. Aber ich bin sicher, Maria ist auch nicht ihr restliches Leben sitzen geblieben und hat Jesus zugehört. Irgendwann ist sie aufgestanden. Und was sie von Jesus gehört hat, das hat sie sicher bewegt, so wie es viele Menschen bewegt hat, die Jesus begegnet sind. Es hat sie sicher in Bewegung gebracht. Vielleicht hat sie nicht mehr Jesus bewirtet. Aber sicher hat sie sich anderen zugewendet. Ihnen davon erzählt, was Jesus ihr gesagt hatte.

Und Martha? Ich möchte sie gar nicht kritisieren. Wir haben doch immer viel zu viel zu tun. Die Arbeit drängt. Die Gäste wollen bewirtet werden. Veranstaltungen wollen organisiert werden. Vesperkirche, Motorradgottesdienst, Nacht der Offenen Kirchen. Eine schöne Einladung zu Hause. Ein Festessen. Eine Hochzeit oder auch mal eine Beerdigung. Und was weiß ich noch alles. Es ist verlockend, einfach draufloszuorganisieren. Es ist, ehrlich gesagt, oft auch einfacher. Es schafft eine Struktur, an der wir uns festhalten können. Es schafft Klarheit, Verlässlichkeit, ohne groß nachdenken zu müssen. Doch Martha hat das Wesentliche einfach übersehen. Sie hat übersehen, dass all die Aktivität nichts ist, wenn wir nicht wissen, warum wir das tun. Und wenn wir noch so viele Vesperkirchen, silentMODs und Motorradgottesdienste organisieren – das alles ist nichts, wenn wir vergessen, innezuhalten und auf Gott zu hören.

Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. 42 Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.