Wagenkirche: Gott mag braune Lebkuchen

 

Lebkuchen verteilen an die Leute

Ja, so langsam können wir wieder anfangen, das ohne schlechtes Gewissen zu essen. Im August regen sich alle drüber auf, wenn die Lebkuchen im Geschäft stehen, aber jetzt, finde ich, dürfen wir das schon. Auch wenn's noch ein bisschen hin ist bis zum 1. Advent.

Ich mag die auch total gern. Vor allem die mit Schoko.

Ach wie klasse, ich mag die weißen viel lieber. Können wir uns ja zusammentun.

Nur die armen braunen, die bleiben immer übrig.

Gott sagt Ja

Predigt am 4. Sonntag im Advent 2011
18.12.2011, Schonungen

Text: 2. Kor 1, 18-22 Gott ist mein Zeuge, dass unser Wort an euch nicht Ja und Nein zugleich ist. Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist, durch mich und Silvanus und Timotheus, der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm. Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe. Gott ist's aber, der uns fest macht samt euch in Christus und uns gesalbt und versiegelt und in unsre Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat.

Liebe Gemeinde!

Ehrlich gesagt, diesen Predigttext musste ich zweimal lesen, bis ich verstanden hatte, was Paulus uns hier sagen möchte. Was war das mit „Ja“ und „Nein“? Wer sagt jetzt Ja, wer sagt Nein? Bei genauerem Hinsehen wurde es aber schnell ziemlich klar – und ich habe mich über diesen Text für heute sehr gefreut. Ich lese ihn nochmal vor und lasse ein paar nicht so zentrale Sätze weg.

Gott ist mein Zeuge, dass unser Wort an euch nicht Ja und Nein zugleich ist. Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm. Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe.

Es geht also um eine ganz einfache und doch ganz elementare Frage:
Wie steht Gott zu uns?

Ich möchte Ihnen eine kleine Geschichte dazu erzählen. Und sicher fallen Ihnen Tausende ähnliche ein, die Sie selbst erlebthaben.

Die Schuldscheine sind beglichen.

Predigt am Karfreitag

Gochsheim, 14.4.2006; Schweinfurt-Auferstehung, 22.4.2011
Text: Hebr 9, 15. 26b-28

15 Und darum ist er auch der Mittler des neuen Bundes, damit durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen.
26 ...Nun aber, am Ende der Welt, ist er ein für allemal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben. 27 Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: 28 so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil.

Liebe Gemeinde!

Ich habe hier einen Nachdruck einer Fünf-Pfund-Note aus Großbritannien. Ich hätte auch jeden anderen Geldschein nehmen können, auch 10 Euro. Aber auf den Pfund-Noten steht ein Text, der deutlich macht, worum es geht:

I promise to pay the bearer on demand the amount of 5 pounds.
Ich verspreche, dem Inhaber auf Verlangen den Betrag von 5 Pfund auszubezahlen.

Mag sein, dass ein Wirschaftswissenschaftler jetzt protestieren würde, aber dieser Gedanke hat mich schon auf meiner ersten England-Reise fasziniert, als ich den Satz das erste Mal gelesen habe: Ein Geldschein ist nichts anderes als ein Schuldschein des Staates. Keine Ahnung, was passieren würde, wenn ich zum Unterzeichner dieses Schuldscheins, also zum Finanzminister, hingehen würde und um Auszahlung bitten würde. In jedem Fall: Der Staat hat Schulden bei mir. So viel Schulden, wie ich Geld in meinem Geldbeutel mit mir herumtrage. 

Nun stellen Sie sich vor: Alle Menschen auf der ganzen Welt kämen darin überein, ihr gesamtes Geld zu verbrennen. Allen Schulden ein Ende zu machen. Niemand, nicht einmal der Staat, soll noch bei jemand anders in der Schuld stehen. 

Ja, natürlich: Es wäre ein großes Chaos. Vermutlich. Wer würde schon noch arbeiten gehen, ohne den Anreiz, dafür auch einen Lohn zu bekommen? Ein paar Enthusiasten, ja, aber die Mehrzahl der Menschen?

Unsere Wirtschaft könnte ohne Geld gar nicht existieren. Und trotzdem: Wäre es nicht für viele Menschen, sogar den Großteil der Menschheit, viel besser, wenn es plötzlich kein Geld mehr gäbe? Wenn auf einmal die drückenden Schulden weg wären, die auch bei uns in Deutschland auf immer mehr Haushalten lasten? Ganze Länder könnten aufatmen, wenn plötzlich ihre Schulden weg wären, deren Tilgung einen so hohen Anteil des Staatshaushaltes ausmachen, dass für das eigene Volk, für Straßenbau, Schulen, Infrastruktur, medizinische Versorgung nichts mehr übrigbleibt. Es gäbe keine Entlassungen mehr bei Betrieben, nur um den Gewinn von 3 auf 4 Milliarden im Jahr zu steigern. Die Menschen stünden wieder im Mittelpunkt, nicht das Geld. 

Was würde geschehen, wenn alle Menschen ihr gesamtes Geld verbrennen würden, Abschied nehmen würden von allen Schulden?

Es wäre eine Befreiung für viele – aber natürlich würde es so nicht funktionieren. Die Befreiung wäre nicht von langer Dauer, denn die gesamte Versorgung mit lebenswichtigen Dingen würde sehr schnell zusammenbrechen.
Neben dem Geld gibt es auch andere Schuldscheine. Solche, die nicht aus Papier sind – die eher aus Gefühlen bestehen. Ich stehe bei einem anderen in der Schuld. Ich habe Schuld auf mich geladen: Dinge, die uns belasten. Dinge, die schief gelaufen sind in meinem Leben.

Da gibt es Menschen, die nicht mehr miteinander reden. Im Streit sind sie auseinander gegangen, seitdem gehen sie sich aus dem Weg. Der andere hat Schuld, das ist doch klar.

Da sind Menschen, die sich einmal geliebt haben. Jetzt streiten sie jeden Tag miteinander, schon wegen Nichtigkeiten. Die Leidtragenden sind die Kinder. Wer hat Schuld? Einer von beiden? Sie beide? Die Menschen um sie herum, die sie mit ihren Problemen allein gelassen haben?

Da sind Menschen, die sich unnütz vorkommen. Auch die 83. Bewerbung um einen Ausbildungsplatz, einen Job wurde abgelehnt. Wer hat Schuld? Sie selbst, weil sie nicht gut genug waren in ihren Zeugnissen? Die Arbeitgeber, die nicht mehr Leute einstellen wollen und es auch nicht können? Unsere ganze Gesellschaft, die so eine Situation einfach hinnimmt?

Da gibt es Menschen, die verhungern. Die Angaben schwanken zwischen 10000 und 40000 Kindern am Tag. Das ist mindestens alle 9 Sekunden eines. Wer trägt da die Schuld? Wir, die wir oft bedenkenlos konsumieren, was wir bekommen? Irgendwelche Wirtschaftsbosse? Die Regierungen der Länder?

Da bin ich selbst. Welche Schuld habe ich auf mich geladen? Wie oft bin ich einem anderen Menschen nicht liebevoll genug begegnet? Wie oft habe ich nur meinen eigenen Vorteil gesucht? Wie oft habe ich hinterm Rücken über einen anderen geredet? Wie oft habe ich die Wahrheit nur ein klitzekleines bisschen zu meinen Gunsten verdreht?
Jeder Mensch, ob er es will oder nicht, lädt Schuld auf sich. Unser Schuldschein-Portemonnaie ist gut gefüllt. Andere haben Fehler gemacht und uns verletzt. Wir haben Fehler gemacht, andere verletzt.

Manchen Menschen können wir kaum noch in die Augen schauen.

Wie wäre es, wenn alle Menschen auf der ganzen Welt auf einmal beschließen würden: Diese Schuld, alle Schuld der Welt, ist ab heute nicht mehr da? Unsere Schuldscheine werden verbrannt. Sie gelten nicht mehr.

Es wäre eine große Befreiung – aber auch eine Aufgabe. Denn noch immer sterben jeden Tag Menschen. Noch immer sind Menschen ohne Arbeit oder ohne Ausbildungsplatz. 

So einfach ist das nicht mit dem Vergeben von Schuld. Das wird nicht ohne Konsequenzen abgehen für unser eigenes Leben.

Nun aber ist Jesus ein für allemal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben.

Jesus tut genau das, wonach wir Menschen uns sehnen: Er hebt die Schuldscheine auf. Er verbrennt sie. Vor Gott sind sie nicht mehr gültig. Vor Gott können wir keine Schulden mehr haben. Sie sind alle beglichen, ein für alle mal.

Wir können die Vergebung unserer Schuld annehmen. Auch wenn wir wissen: Wir werden wieder Schuld auf uns laden. Auch der Schreiber unseres Predigttextes weiß davon. Und er schreibt: Jesus wird unsere Welt heil machen. Noch ist es nicht so weit. Aber eines Tages wird er wieder kommen. Dann wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil. Er wird heilen, was zerbrochen ist. Heil machen, was zerstört ist. Uns von unserer Schuld befreien. Die Schuldscheine endgültig verbrennen.

27 Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: 28 so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
 

Bruder Judas

 

Predigt am Gründonnerstag

Gochsheim, 24.3.2005; Schonungen, 21.4.2011

Text: Mk 14, 17-26
Und am Abend kam er mit den Zwölfen. 18 Und als sie bei Tisch waren und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch, der mit mir ißt, wird mich verraten. 19 Und sie wurden traurig und fragten ihn, einer nach dem andern: Bin ich's? 20 Er aber sprach zu ihnen: Einer von den Zwölfen, der mit mir seinen Bissen in die Schüssel taucht. 21 Der Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre.
22 Und als sie aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach's und gab's ihnen und sprach: Nehmet; das ist mein Leib. 23 Und er nahm den Kelch, dankte und gab ihnen den; und sie tranken alle daraus. 24 Und er sprach zu ihnen: Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird. 25 Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag, an dem ich aufs neue davon trinke im Reich Gottes. 26 Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg.

Liebe Gemeinde!
(2005: Die SPD in Kiel sucht den Verräter. Den, der bei der Wahl der Ministerpräsidentin nicht für Heide Simonis gestimmt hat. Den, der die geplante Regierung zu Fall gebracht hat.)

(2011: Rainer Brüderle ist der Verräter. ER ist der, der ausgesprochen haben soll, was eigentlich eh schon alle dachten: Dass das Atom-Moratorium nur wegen des Wahlkamps in Kraft gesetzt wurde. Und ein anderer musste dann dafür gehen.)

„Der ist schuld!“ heißt es schnell in solchen Fällen. Und manchmal ist es vielleicht ganz gut, gar nicht zu erfahren, wer wirklich schuld war. Denn ihm droht nichts Gutes. Wenn einer das Vertrauen des anderen missbraucht für seine eigenen Zwecke, wenn einer nach außen schön tut und dann aber anders handelt; wenn einer nach außen gut Freund ist und in Wirklichkeit der größte Feind: So etwas erleben wir immer wieder. Solche Judasse, solche Verräter, gibt es auf der ganzen Welt. „Das verzeih ich dem nie!“ - wie oft haben wir schon diesen Satz gedacht oder gesagt.

Mir sind dabei Gedanken gekommen an eine Zeit, die die meisten von uns noch in irgendeiner Form kennen; unsere Konfirmanden aber schon nicht mehr. Die Zeit, als es noch eine DDR gab, eine Mauer, eine mit Selbstschussanlagen gesicherte Grenze. Als Kind bin ich oft „rüber“ gefahren, denn wir hatten Verwandte in Ostberlin. Immer war da, vor allem bei Regimekritikern, die Angst mit dabei. Die Angst vor der Stasi, vor den Spitzeln, die überall lauerten.

Nun ist die DDR Geschichte. Aber die Menschen, die damals andere bespitzelt haben, sie leben immer noch. Sie müssen mit ihrer Geschichte leben, und mit den Menschen, die sie früher einmal bespitzelt haben. Wie soll man mit diesen Menschen umgehen? Bist heute ist das eine schwierige Frage. Ein Liedermacher aus Ostberlin, Gerhard Schöne, hat 1990, kurz nach der Wende, eine Antwort versucht auf diese Frage. „Setz dich zu mir, Bruder Judas!“ Lassen Sie uns einmal auf dieses Lied hören.

BRUDER JUDAS
(1990) T: Schöne/M: Plüss
Setz dich zu mir, Bruder Judas. Nimm vom Hals das Seil! Wisch die Tränen von den Wangen, 's ist genug kaputt gegangen und wird nicht mehr heil.
Mißtraun hast du wie ein Unkraut
zwischen uns gestreut.
Jugend aus dem Land getrieben,
eingelocht und aufgerieben
viele gute Leut'.
Schriebst ins Klassenbuch Notizen
über jedes Kind.
Lehrtest mit zwei Zungen reden,
petzen, heucheln, leise treten, 's Mäntelchen im Wind.
Trankst als einer meiner Freunde Brüderschaft mit mir. Hast in meiner Post gelesen, hinterm Telefon gesessen, gingst durch meine Tür.
Dann verfaßtest du Berichte, knüpftest einen Strick. Daraus wuchs ein Netz von Schlingen. Manchen, die sich drin verfingen, brach es das Genick.
Und ich war auch dein Komplize.
Gab dir lange Zeit
durch mein Schweigen und mein Dulden
eines jeden Mitverschulden
solche Sicherheit.
Dich hat der Verrat zerfressen.
Freundschaft ist ein Hohn.
Die Gedanken sind verdorben,
dein Gewissen fast gestorben
für den Silberlohn.
Schutzlos stehst du jetzt am Pranger.
Man darf dich bespei'n.
Die sonst nie den Mund auftaten,
niemals aus dem Schatten traten,
werfen ihren Stein.
Nimm ein heißes Bad und schrubb' dich! Bist noch lang nicht rein. Lern bereu'n, ich lern vergeben, müssen doch zusammen leben, Judas, Brüderlein.

„Setz dich zu mir, Bruder Judas!   Lern bereu'n, ich lern vergeben, müssen doch zusammen leben, Judas, Brüderlein.“

Wer würde denn so reagieren, wenn er erfährt, dass ihn einer verrät? Wer würde so, voller Verständnis, auf den anderen zugehen? Das ist doch schon fast unmenschlich, was Gerhard Schöne hier besingt. Und doch ist es genau das, was auch Jesus tut und sagt: Setz dich zu mir, Bruder Judas! Mit allen feiert er das Sedermahl, das Mahl am Passah-Abend. Auch mit dem, der ihn verraten wird. Und mit Petrus, der ihn am nächsten Tag dreimal verleugnen wird. Mit seinen Jüngern, die in dieser Nacht einschlafen werden, wo er sie doch so dringend gebrauchen könnte, damit sie mit ihm diese Nacht durchwachen und mit ihm beten. Jesus lädt sie alle an seinen Tisch. Alle diese Verräter und Versager. Alle sind sie bei ihm willkommen, denn was er will, das ist nicht Streit, sondern Versöhnung. Gemeinsam Brot essen und Wein trinken, das bindet zusammen. Das schafft Gemeinschaft. Alle lädt er ein.

Ich weiß es nicht mehr genau, ich denke, es war ein Satz von Dietrich Bonhoeffer. Auf jeden Fall stammte es aus der Zeit des Dritten Reichs, diese Beschreibung des Abendmahls: Da stehen der Kriegstreiber und der Pazifist nebeneinander. Im normalen Leben die absoluten Gegner, die sich vielleicht nicht einmal die Hand geben würden – doch im Abendmahl sind sie alle vereint, versöhnt. Jesus Christus bringt sie zusammen, bringt sie zurück an einen Tisch. Und wenn wir sein Mahl ernst nehmen, dann können wir anschließend auch nicht mehr einander verachten. Wir gehören zusammen. Das Mahl Jesu, es versöhnt uns und verbindet uns. „Setz dich zu mir, Bruder Judas!“ Auch ich habe Fehler. Auch ich weiß, dass ich die Liebe Gottes eigentlich nie verdient hätte. Auch ich bin auf Gottes Gnade angewiesen, genauso wie du. Dadurch werden die Fehler, die wir haben, nicht einfach ungeschehen gemacht. Aber sie entzweien uns nicht mehr voneinander. Jesus lädt uns, vor seinem Tod, ein zu seinem Mahl der Versöhnung und des Friedens. Daran lasst uns denken, wenn wir jetzt gemeinsam tun, wie er es uns geboten hat. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
 

Klänge in der Nacht: Die Texte

Lied: Abendlied (Jonathan Böttcher)

Mose an der Kanzel

Ich bin Mose. Vor über 300 Jahren stellte man mich unter diese Kanzel. Als ein Zeichen für die Menschen: Die Predigten hier, sie stehen auf dem Grund der Zehn Gebote. Die Predigten, die hier gehalten werden, sie fußen auf dem Alten Testament. Ihr habt gemeinsame Wurzeln mit dem Judentum. Manchmal, in eurer Geschichte, da wäre es gut gewesen, ihr hättet auf dieses Zeichen geachtet.
Ich bin Mose. Vor über 300 Jahren stellte man mich unter diese Kanzel.
Vieles habe ich erlebt in dieser Zeit.
Krieg und Zerstörung.
Naturgewalten, nah und fern.
Aufstände und Revolutionen.
Putsche und Regierungswechsel.
Das große Stadtverderben.
Unendlich große Trauer und Freude.
Taufen und Beerdigungen.
Hochzeiten und Trennungen.

Aschwermittwoch

Viele meiner Lieblings-Tippfehler korrigiert mein Schreibprogramm mittlerweile von allein. Aus sit wird automatisch ist, aus Kriche wird Kirche, aus chrsitlich wird christlich und so weiter. Den Aschwermittwoch habe ich meinem Programm aber noch nicht beigebracht. Dabei ist er tatsächlich ein zuverlässiger Begleiter in meiner Schreib-Laufbahn. Aber er kommt halt nur einmal im Jahr vor. Und ist evangelischerseits ja (meistens) nicht einmal mit einem Gottesdienst behaftet, da braucht's keine Autokorrektur, für die paar Mal. Nun ja, in Gochsheim gibt es abends einen „Musikalischen Ascherwmittwoch“ (jetzt habe ich ich mich wirklich angestregt, das Ergebnis bleibt so stehen), bei dem die „Kichen-Band“ Living Colors mittlerweile immerhin ihren 22. Geburtstag feiert.

Aschwermittwoch – das ist gefühlsmäßig verbunden mit der Buße. Mit Asche. Mit traurigen Gesichtern. Bei manchen vielleicht auch mit Aufatmen: Endlich ist der Faschingstrubel vorbei, endlich geht das „normale“ Leben wieder weiter. Kein Pferd steht mehr auf dem Flur, keine Karawane zieht von Kaschemm zu Kaschemm, und auch das Fliegerlied hört man nicht mehr so oft wie in den letzten Tagen.

Verdammnis oder Heilsgewissheit?

Predigt beim mittelalterlichen Gottesdienst

Schweinfurt, 12.9.2010

Text: Römer 3, 21-28
21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten.
22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied:
23 sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten,
24 und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.
25 Den hat Gott für den Glauben hingestellt als aSühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher
26 begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus.
27 Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens.
28 So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.

Gute Menschen von Schweinfurt!

Habt ihr euch schon einmal am Feuer die Hand verbrannt? Ein einziger Finger, den euch die heiße Flamme versengt, quält euch die ganze Nacht. 

Wie muss es erst sein, wenn euer ganzer Körper in Flammen steht? Nicht für eine schlaflose Nacht. Nicht für eine Woche, sondern für die Ewigkeit!

Könnt ihr ihm entrinnen, dem Feuer der Verdammnis, am Tage des Strafgerichts?
Euer Heiliger Vater in Rom schickt euch ein besonderes Geschenk, das euch vor solchen Flammen bewahren soll. Einen besonderen Ablass zum Bau der Kirche des Heiligen Petrus in Rom. Lege einen Stein für St. Petrus, und du legst einen Stein für dein eigenes Seelenheil. Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt!

Aber aber, Meister Schmitt, haltet ein! So könnt Ihr doch nicht mehr predigen! Nicht seit Dr. Martinus Luther seine bahnbrechende Entdeckung über die Gerechtigkeit Gottes gemacht hat!

Ja, genau, Prediger Kuschel! Die Gerechtigkeit Gottes! Darum geht es doch. Gott ist ein gerechter Gott. Er straft alle gleich. Da gibt es kein Entrinnen. Wer auf dieser Erde gesündigt hat, den erwartet nach dem Tode die gerechte Strafe. Doch durch Jesus Christus hat er Petrus, seinem Stellvertreter, die Schlüssel zum Himmelreich gegeben. Er – und sein Nachfolger, der Papst – kann die zeitlichen Strafen erlassen. Darum bin ich hier, um diese frohe Botschaft weiterzugeben: Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt! Und wer wäre nicht bereit, für sein ewiges Seelenheil ein wenig Geld zu investieren?

Nein nein, Ihr macht ja aus der frohen Botschaft eine Drohbotschaft. Ganz anders ist das gemeint mit der Gerechtigkeit Gottes. Dr. Martinus Luther hat es ganz anders übersetzt. Er schrieb: „die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt“. Und er meint: Gott hat uns schon längst gerecht gemacht. Gott hat uns sozusagen den Eintritt in den Himmel schon längst bezahlt.

Aber wo bleiben dann die Strafen für böse Taten?

Sind schon längst bezahlt. Für den, der an Jesus Christus glaubt.

Das heißt, wer an Jesus Christus glaubt, braucht gar nichts weiter zu tun?

Genau.

Das kann doch nicht sein. Wo bleibt das Strafgericht Gottes? Wo bleibt die Belohnung für die guten Taten im Leben und die Bestrafung für die schlechten Taten? Wollt Ihr allen Ernstes behaupten, Gott wäre das egal?

Nein, Gott ist es gar nicht egal. Es ist ihm so wenig egal, dass er dafür seinen eigenen Sohn in die Welt gesandt hat. Der ist für uns gestorben. Für alle unsere schlechten Taten. Wir müssen nur eines tun: An ihn glauben. Hört, wie Dr. Martinus es übersetzt hat im Brief des Heiligen Paulus an die Römer, Kapitel 3.

21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten.
22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied:
23 sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten,
24 und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.
25 Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher
26 begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus.
27 Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens.
28 So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.

Habt Ihr es gehört, Meister Schmitt? Wir sollen uns nicht unserer guten Werke rühmen. Das Rühmen ist ausgeschlossen. Es bringt uns Gott nicht näher, dass wir gute Werke tun, denn gut genug für Gott ist keiner von uns. „sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten,“ so schreibt es der heilige Paulus. Wir werden gerecht, das heißt: von Gott angenommen, ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.

Dieser Martinus Luther! Der bringt doch alles durcheinander. Die guten Werke sollen nichts mehr zählen? Ich bin mir sicher, in 500 Jahren singen sie dann „wir kommen alle, alle in den Himmel“. Das kann es doch auch nicht sein. Da wird doch alles ganz beliebig, wenn jede Sünde sowieso schon von vornherein wieder vergeben ist.

Nein, Meister Schmitt, das habt Ihr falsch verstanden. Ganz im Gegenteil, gar nichts ist beliebig. Denn das muss ich erst einmal ernst nehmen: Gott macht mich frei. Gott ist ein Gott der Liebe und nicht der Vergeltung. Er ist ein gnädiger Gott, kein Gott der Rache. Wer das wirklich begriffen hat, der wird von sich aus versuchen, ein gutes Leben zu führen. Der wird von sich aus gute Taten tun.

Genau. Gute Taten tun – und sich damit das Himmelreich erkaufen. So wie mit den Ablassbriefen.

Nein, nein! Am Anfang steht nicht die gute Tat. Am Anfang steht das Wort Gottes: Du bist geliebt von Gott. Dein Seelenheil ist bereits erkauft, teuer erkauft durch das Blut Christi. Doch wenn wir dieses Wort Gottes annehmen, dann verändert das unser ganzes Leben zum Guten.

Das, lieber Prediger Kuschel, halte ich doch für reichlich naiv. Die Leute werden doch nicht besser, nur weil sie sich von Gott geliebt fühlen. Nein, sie müssen geführt werden! Der große, gerechte und allmächtige Gott wird doch zu einem niedlichen „lieben Gott“, wenn wir das so locker sagen: Ihr seid frei.

Aber wir sind doch frei. Und diese Freiheit ist teuer erkauft, Meister Schmitt. Der Sohn Gottes ist dafür gestorben. Darum müssen wir sie auch ernst nehmen, diese Freiheit. Darum dürfen wir uns auch nicht vorschreiben lassen, wie unser Glaube auszusehen hat. Jede und jeder muss das für sich selbst herausfinden. Darum hat Dr. Martinus auch die Bibel übersetzt. Dann sind die Menschen nicht nur auf die Bilder in den Kirchen angewiesen und auf die Erzählungen der Pfarrer. 

Ach, hört mir auf mit eurem Dr. Martinus und seiner Freiheit eines Christenmenschen! Ihr seht doch, wohin er uns gebracht hat. Unfriede überall. Durcheinander. Dreißig Jahre Krieg. Der mit seinem „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“. Ich glaube immer noch, dass die Menschen Sicherheit wollen. Dass sie einfachere Lösungen brauchen. Ein wenig Weihwasser oder ein Ablassbrief hilft da mehr als viele Diskussionen um Freiheit und Gerechtigkeit. Die Kirche weiß schon, was gut für die Menschen ist. Wenigstens war es bisher so.

So kommen wir nie zusammen. Und ich glaube, dass unser Herr Jesus nicht gewollt hätte, dass er so gestückelt wird. Er wollte das Reich Gottes. Er wollte die Menschen zu Gott führen. Und was haben wir daraus gemacht? Da gebe ich Euch Recht: Streit, Krieg, Unterdrückung. Das kann nicht im Sinne Jesu sein.

Aber was wäre dann in seinem Sinn? Was können wir da zusammentragen, dass wir ihm nahekommen? Habt Ihr da etwas zu bieten?

Ja. Ich habe es schon gesagt: Wir Evangelischen glauben, dass es gut ist, wenn die Menschen etwas von ihrem Glauben verstehen. Darum hat Dr. Martinus die Bibel übersetzt. Er hat den Katechismus geschrieben. Und dazu viele Lieder, die vom Glauben erzählen. Wir legen Wert auf gute Predigten, aber auch darauf, dass die Gläubigen zu Hause die Bibel lesen und darüber reden. Viele von uns können große Stücke der Bibel auswendig. Ich bin mir sicher: Noch in Hunderten von Jahren wird Luthers Bibel die deutsche Sprache prägen. Auch wenn die Menschen dann bestimmt nicht mehr so viel auswendig können. Vielleicht noch den 23. Psalm, aber das ist ja auch schon mal etwas.

Wir Evangelischen wollen mündige Christen. Gläubige, die fröhlich und ohne Angst ihren Glauben frei bestimmen können. Und was habt Ihr zu bieten?

Naja. Dieselben Wurzeln haben wir ja. Aber bei uns sind die Traditionen und Rituale auch wichtig. Die Menschen brauchen nicht nur Worte, sondern auch Zeichen. Aber das ist nicht immer so einfach. Nehmen wir zum Beispiel den Weihrauch hier. Das ist etwas ganz Besonderes und zeigt, dass unser Beten und Streben zu Gott gelangt, wie der Weihrauch in den Himmel steigt. Aber ob das verstanden wird?

Ich würde mir wünschen, dass wir nicht so sehr gegeneinander gehen. Da war der Streit zwischen Martin Luther und den katholischen Predigern kein gutes Vorbild. Aber vielleicht hat es sein müssen, damit die Menschen merken, dass etwas nicht stimmt. Ich möchte mehr miteinander machen. Wir mit unserer Schrift, ihr mit Euren Zeichen. Das wäre doch was. Vielleicht bringt es die Zeit mit sich.

Langsam werdet Ihr mir richtig sympathisch. Aber ich bin sicher das geht nicht so einfach und dauert lange. Und da wird es sicher ganz viele wichtige und schlaue Leute geben, die Probleme sehen. Und die werden uns dann sagen, wer die richtige Kirche ist und wer nicht recht hat. Und manche werden sich fragen, wer eigentlich richtig feiert und wer nicht. Und dabei geht es doch nicht darum, sondern, dass wir unser Leben feiern, das in Gottes Hand ist.

Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Aber es wird noch lange dauern, bis wir diesen Weg wieder gemeinsam gehen können. Ich jedenfalls möchte daran mitarbeiten.

Gott gebe uns seinen Segen zu diesem Weg aufeinander zu. Amen. 

Weiterführende Links:

Der Gottesknecht

Predigt am Karfreitag 2008/2010
Gochsheim, 21.3.2008/SW St. Salvator, 2.3.2010
Text: Jes (52, 13-15) 53, 1-12
Liebe Gemeinde!
Karfreitag. Der schwärzeste Tag im Leben von Jesu Jüngern. So viel Hoffnung hatten sie gesetzt in diesen Jesus. So sicher waren sie gewesen, dass er es ist. Dass er der Messias ist. Der, der Israel wieder aufrichten wird. Der, der die Römer vertreiben wird. Der, der Gottes Reich neu errichten wird. Ein wahrer Nachkomme von David, dem legendären König.